26.07.2014 - 7:00 Uhr - 79 km / 2.660 Hm+ / 2.660 Hm- (K78)
Swissalpine-Dauersieger Jonas Buud aus Schweden am Vortag auf dem Weißfluhgipfel.
Im Jahr 2009 bestritt ich mit dem K78 meinen ersten Ultramarathon. Für mich ein bahnbrechendes Ereignis! Ich fand Gefallen an dieser "Sportart" im hochalpinen Gelände und da wurde es nun langsam mal wieder Zeit dem "weltgrößten Bergultra" einen Besuch abzustatten. Die von 1998 bis 2011 ausgeschriebene Scalettapass-Variante ist mittlerweile dem ursprünglichen Kurs über den Sertigpass gewichen und erstmals wird auch der Streckenabschnitt bis Filisur mit dem Abstecher zum weltberühmten Landwasserviadukt versehen. Bis Bergün gibt es weniger Asphalt, dafür ist dieser Abschnitt etwas länger und das "Gesamtpaket" hat nun rund 300 Höhenmeter mehr auf der Uhr.
Die Woche zur Anpassung an die "dünne" Bergluft in Davos ist zum größten Teil verregnet und bergunfreundlich. Deshalb bleibt nur die Kletterei über den Nordwestgrat zum Gipfel des Flüela-Wisshorn (3.085 m) vom "sonnigen" Mittwoch als "echte" Tour für die Kinder im Gedächtnis. Sonst stehen die Bahnausfahrten nach Filisur und Klosters mit anschließenden (Wasser-)Wanderungen zu markanten Streckenabschnitten des Swissalpine und "Spaziergänge" bis auf 2.300 Meter Höhe auf dem Plan. Unser Zimmer in der Jugendherberge gleicht dementsprechend jeden Abend einer Trockenkammer und nur der Freitag macht mit seinem überdurchschnittlich hohen Sonnenanteil Hoffnung auf einen trockenen Lauf-Samstag.
Das Abendessen im "Youthpalace" ist am Freitag-Abend mit seinem Teigwaren-Angebot voll auf den bevorstehenden Lauf fokusiert, denn der Großteil der Jugendherbergsgäste ist unschwer als Teilnehmer des Swissalpine auszumachen. Das Frühstück gibt es am Sonnabend schon ab 5 Uhr - warum man da allerdings schon in Kompressionssocken und mit umgebundener Startnummer erscheinen muß, erschließt sich mir nicht vollständig. Da habe ich vielleicht das Kleingedruckte in den Geschäftsbedingungen nicht richtig durchgelesen. Egal, wir bekommen auch "inkognito" unser (karges) Mahl. Zwei kleine Weißbrotscheiben mit Käse und Wurst gönne ich mir heute nur - mehr will der aufgewühlte Magen einfach nicht haben.
Schon die gesamte Nacht konnte ich nicht richtig schlafen und sehnte das Weckerklingeln regelrecht herbei. Diese innere Unruhe hatte ich früher vor großen Läufen immer. Ist etwa mein ehemals vorhandener Ehrgeiz wieder geweckt? Oder ist es nur die Angst, welches Körperteil heute nicht den kommenden Anforderungen gewachsen sein wird - das Knie, der Rücken, der Ischiasnerv oder die Niere? Noch herrscht im Körper eine trügerische Ruhe, nur der Magen verweigert eben seinen Dienst. Vielleicht ist es aber auch der ungenügende Trainingszustand, der mich jetzt verunsichert und später in Erklärnot bringen wird?
Carsten Voigt vom Burgstädter LV läuft den K30. Noch ist der Asphalt trocken!
Der Himmel ist bedeckt und das Thermometer zeigt 9°C als wir gegen 6 Uhr die Jugendherberge Richtung Sportzentrum verlassen. Der Andrang im Start- und Zielbereich ist entsprechend groß, da mit den rund 900 Startern des K78 auch noch die ca. 700 Läufer des C42 (42,5 km / 1.020 Hm+ / 1.190 Hm-) und des K30 (32,9 km / 530 Hm+ / 1.040 Hm-) mit auf die Reise gehen werden. Mitten in diesem Gewühl treffen wir Carsten vom Burgstädter Laufverein - wenn man sich schon nicht mehr bei den "lokalen" Wettkämpfen trifft, dann eben in Davos. Er wird den K30 nach Filisur laufen und will danach in Davos die Zielankunft der anderen Wettbewerbe mitverfolgen.
Vor dem Start ergreift OK-Präsident Andrea Tuffli das Wort. Seine Worte vom bevorstehenden Dauerregen ("Das Element Wasser wird uns heute den gesamten Tag über begleiten") wollen nicht so recht bei uns ankommen, denn noch herrscht optimales Laufwetter. Im Startblock sage ich noch zu Ute, daß sie das Wetter bestimmt nicht besser ansagen, als es letztendlich wird - eher etwas "schlechter". Tuffli sollte aber Recht behalten, denn kurz vor 8 Uhr beginnt es von oben feucht zu werden und in einen Dauerregen bis in die späte Nacht hinein überzugehen.
Noch ist jedoch alles bestens. Die fünffache K78-Siegerin Jasmin Nunige, welche krankheitsbedingt (erneuter Schub von Multipler Sklerose) auf einen Start verzichten muß, schickt Punkt 7 Uhr die Läufer auf den Kurs. Noch liegt der Fotograph zum besseren Bilderschießen auf dem Asphalt der Promenade, der Hauptstraße von Davos, dies wird er sich bei der späteren Zielankunft jedoch verkneifen müssen. Rund 5 Kilometer geht es anfangs durch die Stadt (1.538 m), bekleidet vom Applaus der zahlreichen Zuschauer, die die Strecke säumen. Am Ortsausgang steht zudem Andrea Tuffli, der seine "Schäfchen" nun in die Natur hinaus verabschiedet.
Das Starterfeld hat sich zu diesem Zeitpunkt schon weit auseinandergezogen, von weitem sieht man schon das fest installierte Blitzlicht des Fotographen, der in Ufem Büel die Läuferschar ablichtet. Entlang des Junkerbodenwaldes erreichen wir die Trasse der Rinerhornbahn, welche noch menschenleere Gondeln in die Höhe schickt. Mittlerweile hat es angefangen zu regnen, deshalb hat man in Spina (1.587 m) auch eine rund zehnköpfige Fangemeinde aus Strohpuppen unter einem Schauer plaziert. Ihre Kuhglocken werden zudem maschinell betätigt, damit ist ein ununterbrochener "Support" der Sportler gewährleistet.
Bis Monstein (1.619 m) schlängelt sich der Weg ohne nennbare Steigungen oder große Gefälleabschnitte dahin. Danach verliert die Strecke jedoch schnell an Höhe. Es geht hinab ins Tal des Landwasser-Flußes nach Schmelzboden (1.340 m), durch die Zügenschlucht nach Wiesen (1.197 m). Am dortigen Bahnhof befindet sich eine der insgesamt 21 Verpflegungsstellen. Das Zuschauerinteresse ist auch hier, trotz des Regens, ungebrochen und der Sprecher, der alle durchlaufenden Teilnehmer kurz vorstellt, weiß sogar, wo Chemnitz liegt.
Die VIP-Lounge in Spina im Trockenen. Monstein - Kilometer 17.
Es folgt das Wiesner Viadukt. Vor fünf Jahren hatte ich auf diesem Bauwerk das Glück, das zeitgleich mit mir (und zwei weiteren Läufern) ein Zug die "Brücke" passierte und schaffte es mit diesem Schnappschuß auf die Titelseite der lokalen Sonntagszeitung. Das bleibt mir heute verwehrt, denn erst als ich in den nachfolgenden Wald einbiege, höre ich das Signal des Zuges, der kurz darauf das Viadukt befährt.
Über einen deshalb entgangenen "Zeitungseintrag" mache ich mir jedoch keine Gedanken. Vielmehr frage ich mich, wie der ganze Spaß heute enden wird, da nach gerade einmal 25 absolvierten Kilometern die gesamte Kleidung, inklusive Schuhe klatschnaß ist. Und es kommt noch besser, denn mitten im Wald folgt eine steile und ziemlich lange Wiesen"abfahrt", bei der ich zu tun habe, die Spur zu halten. Selbst Läufer mit besser profiliertem Schuhwerk sind hier nicht privilegierter als ich, mit meinem "adidas boost"-Straßenlauf-Schuh. Jeder schlittert mehr oder wenig gekonnt ins Tal, wo es nach dem Grassektor weiter straff bergab geht, nur eben auf engen Pfaden.
Als wir unten am Landwasser ankommen, führt die Strecke erstmal flußaufwärts und ein paar Biegungen auf der anderen Talseite bergauf, um kurz darauf alles wieder hinunter laufen zu dürfen. Nach rund 30 Kilometern ist das 65 Meter hohe und 136 Meter lange Landwasserviadukt (991 m) erreicht. Diese 1901 gebaute Eisenbahnbrücke gehört zum Weltkulturerbe und wurde 2009 grundhaft saniert. Der weitere Streckenverlauf bis Filisur (1.032 m) ist mir von unserer Vor-Ort-Besichtigung vom Montag bekannt: anfangs noch auf einem (mit Himbeersträuchern gesäumten) Schotterweg am Fluß entlang, danach auf einem Waldweg hoch zum Bahnhof, wo wieder viele Zuschauer auf die Läufer warten.
Wiesner Viadukt ohne Rhätische Bahn ... ... Landwasserviadukt mit Rhätischer Bahn.
Durch den Ort geht es danach hinab zum Ziel des K30, wo ich eine Zwischenzeit von genau 3 Stunden und 3 Minuten aufzuweisen habe. Mit etwas wärmender Brühe und kaltem Iso stärke ich mich zudem am Durchgangsimbiß. Im Tal der Albula geht es nun anfangs moderat nach Bellaluna (1.085 m). Danach wird es steiler, aber der Anstieg führt weiter in Flußnähe durch den Wald. Von der gegenüber dem Bergfluß Albula liegenden Straße sind vereinzelt Anfeuerungsrufe von bergabfahrenden Radfahrern zu hören. Vor fünf Jahren ging die Streckenführung (zumindest im oberen Teil) noch über diese Straße hoch nach Bergün/Bravuogn (1.367 m).
Der Weg schlängelt sich auch noch eine ganze Weile horizontal und vertikal, ehe wir das Bergdorf erreichen. In der Zwischenzeit teilen wir unsere Strecke mit den Teilnehmern des K42 (42,2 km / 1.840 Hm+ / 1.680 Hm-), die in Bergün gestartet sind und erst eine 3-Kilometer-Runde "unterhalb" des Ortes zurücklegen, bevor sie dann auf die K78-Schleife biegen.
In der Ortsmitte befindet sich das Ziel des C42. Meine Marathonzeit am heutigen Tage ist mit 4:20:58 Stunden nicht mal intern bestenlistenfähig. Ich könnte jetzt aussteigen, aber das hätte ich auch schon in Filisur gekonnt und würde immer noch eine (gesonderte) Wertung C42 (bzw. K30) bekommen. Viele Läufer nehmen dieses Angebot aufgrund des anhaltenden Regens gern (?) an. Ich nicht! Habe schließlich für die gesamte Strecke bezahlt und nicht nur bis Bergün!
Auch hier mache ich wieder mehrere Bilder vom Ortskern, was der Sprecher lobend in seinen Ausführungen über mich erwähnt. Außerdem besteht in der Turnhalle die Möglichkeit von seinem abgegebenen Läuferbeutel Gebrauch zu machen. Ich weiß jedoch nicht, was ich an Kleidung wechseln soll, denn zehn Minuten später wird sowieso alles wieder naß sein. Daher bediene ich mich etwas ausgiebiger am Verpflegungsstand.
Ute habe ich jedoch im Vorfeld zu einem Schuhwechsel in Bergün geraten. Denn auf dem alpinen Abschnitt von Chants bis Chuealp kann man schon beruhigenderweise einen besser profilierten Schuh am Fuß tragen. Zum Zeitmeß-Chip-Wechsel habe ich Schere und Kabelbinder mit in Ute's Wechselschuh gelegt, somit wird der Tausch dann doch etwas schneller über die Bühne gehen, als wenn sie noch jemanden (im allgemeinen Chaos) nach Werkzeug fragen muß.
Filisur (1.032 m) - Zielort des K30. Bergün (1.367 m) - Ziel des C42 und Start des K42.
Im Val Tuors nehmen wir K42-er und K78-er nun gemeinsam die Straße am Fluß Ava da Tuors bergauf in Angriff. Manche "Kurzstreckler" sind hier nach nicht einmal zehn zurückgelegten Kilometern schon so fertig, daß sie in den Wanderschritt übergehen müssen, dabei kommt dieser entsprechende Sektor doch erst nach Chants!
Am Verpflegungszelt in Tuors Davant (1.704 m) frage ich eine freundliche Helferin, ob sie mal ein Foto von mir schießen kann. Natürlich kann sie und es wird ein etwas längeres Zwischenspiel, da sie offenbar Gefallen an der Sache gefunden hat. Es folgt eine kurze Einweisung an meinem schon arg vom Wasser in Mitleidenschaft gezogenen Fotoapparat. Das erste Bild ist dann auch schnell im Kasten. Es folgt noch eins mit dem Getränkebecher in der Hand und für ein weiteres muß ich werbewirksam noch einen Müsliriegel in die Kamera halten. Dann blendet sich noch ein jüngerer Mann ins Geschehen ein und bietet mir sein Bier an. Also gibt es dann auch noch ein Foto mit der Flasche am Hals. Gut gestärkt und mit den besten Wünschen im Gepäck mache ich mich danach wieder auf die Socken.
In Chants (1.822 m) sind 50 Kilometer geschafft. Der Anstieg zur Keschhütte folgt. Ein Holzschild gibt dabei zwei Varianten vor: einmal nach links die "Abkürzung" in zwei Stunden Wanderzeit und einmal nach rechts den Normalweg mit zweieinhalb Stunden. Der Swissalpin nimmt dabei natürlich den längeren Weg! Der Anfang ist auf dem Forstweg mit einigen Serpentinen leicht zu meistern, dann wird es direkter, steiler und schlammiger. Mein profilloser Straßenlaufschuh sucht des öfteren erfolglos nach Halt. Es wird ein langwieriger und kräftezehrender Kampf bis zum Erreichen der Baumgrenze. Ab da sind die Wege wieder steiniger und wesentlich besser laufbar.
Tuors Davant: vor dem Bier gibts Wasser und Riegel. Steil und schlammig - der Aufstieg zur Keschhütte.
Bei den Querungen des Bergbaches taste ich mich auch nicht mehr vorsichtig über die bereitgelegten großen Steine, die ein "trockenes" Überlaufen ermöglichen sollen. Nein, jetzt geht es mittendurch! So wird wenigstens etwas Dreck aus den Schuhen gespült, denn durchnäßt sind sie ja schon alleweile. Meine 2009 erzielte Endzeit von 7:56 Stunden steht heute nicht ansatzweise im Raum, dafür hole ich mir sicherlich eine neue persönliche Bestleistung im Dauerduschen und dafür müssen ja wenigstens auch die Füße sauber sein.
Mit einer Zwischenzeit von 6:39:41 Stunden überlaufe ich die Meßmatte an der Keschhütte/Chamanna digl Kesch (2.632 m). Am Versorgungsstand presse ich mir zwei Gels in den Hals und spüle ordentlich mit Iso nach. Hier werden von den Helfern Regenumhänge ausgegeben und aufgrund der Kälte auch noch am durchfrorenen Läufer angebracht. Ein Service mit Weitblick, denn südöstlich der Berghütte kündet Neuschnee an den Hängen des Piz Alpin und seinen Artgenossen vom Ernst der Lage.
Ich begebe mich danach kurz in den Gastraum der Hütte, dort sind natürlich keine Läufer anzutreffen, sondern nur Bergtourengeher und Wanderer. Aus meiner Gürteltasche würge ich mein regendicht verpacktes Stempelbuch heraus. Es gehört sozusagen (neben dem Fotoapparat) zu meiner Pflichtausrüstung in den Alpen. Die Hüttenwirtin (?) staunt erstmal nicht schlecht, als ich nach dem Hüttenstempel greife. Vielleicht ist der ja nicht mehr Herr seiner Sinne, denkt sie sich und fragt in bester Arztmanier nach meinem Befinden. Ich beruhige sie, indem ich ihr sage, daß es mir beschissen geht, die am Verpflegungsstand "erworbene" Regenplane jedoch bald wieder Besserung in Aussicht stellt.
Ich solle auf keinen Fall den abgelegten Fotoapparat vergessen, meint sie als ich das gut eingepackte Buch wieder in meine Gürteltasche hineinpresse. Es ist zwar letztendlich mit großer Not wieder untergebracht - nur verkehrt herum. Damit hat der Fotoapparat nun noch weniger Platz in dem Fach, wo sich beim Normalläufer sonst eine Trinkflasche aufhält.
VP Valzana (1.952 m) bei Kilometer 51. Chamanna digl Kesch (2.632 m) - Kilometer 55.
Nachdem ich nun genug Zeit mit "Nebensächlichkeiten" verbummelt habe, gilt es nun wieder den Rhythmus zu finden. Ein vor mir laufendes Paar hilft mir dabei und gibt ein ordentliches Tempo vor. Der Weg ist "vermüllt" mit weggeworfenen Gelverpackungen und ähnlichem. Auch eine Verpackung des Schmerzmittels Ibuprofen ziert dabei den Weg. Gut, das gehört mittlerweile zum Equipment eines Volkssportlers, meinen viele "Laufexperten". Aber warum? Warum wird wohl der Körper Schmerzsignale senden? Damit man sie, wenn man sie nicht normal unterdrücken kann, mit Schmerzmitteln abblockt? Ich will mich ja hier nicht zum Ober-Moral-Apostel aufspielen, aber hier sollten einige (oder gar viele ?) ihre Methoden mal überdenken.
Das Bergab-Stück auf dem Panoramatrail wird für mich fast zur Endstation, denn zweimal zieht es mir auf dem steinigen Weg die Füße weg. Mit Glück und Geschick kann ich einen Sturz verhindern, aber es zuckt gefährlich bis in die Fingerspitzen. Mir geht bei solchen Aktionen ständig eine Filmsequenz von einem amerikanischen Heldenfilm durch den Kopf, den meine Kinder am Anfang des Urlaubs gesehen haben. Dort war im Wald ein Schauspieler umgeknickt und gab nebenbei zum Besten: "Ich glaub', ich hab' mir den Knöchel gebrochen!". Ein Zitat, welches bei unseren Bergaktivitäten nie zu kurz kam und immer wieder gern verwendet wurde. Sollte ich etwa mit diesem Ausspruch am Ende des Tages vor meine Kinder treten? Und die zwei Bengel lachen dann auch noch, obwohl ich es ernst meine?
Im flacheren Teil des Weges wähnt man sich dann in einem Bachlauf unterwegs zu sein. Jetzt gibt es nur noch Wasser - von oben und von unten. Der frühere K42-Abzweig Platta Naira wird passiert und etwas später biegt die Streckenführung vom Panoramatrail zum Sertigpass ab. Auch hier geht es wieder straff durch die Zuflüsse des Bergbaches Ova Sartiv, der wiederum der Abfluß des Bergsees Lai da Ravais-ch Sur ist, welcher von uns Läufern umrundet wird, bevor es den finalen Anstieg zum Sertigpass (2.739 m) hinauf geht.
Bin ich jetzt am Sertigpass (2.739 m) ... ... oder doch auf dem Scaletta?
Mein Fotoapparat macht nur noch unscharfe Bilder. Die Nässe hat ihn nun voll im Griff. Am Verpflegungsstand unterhalb des Passes lasse ich mir deshalb ein trockenes Papiertaschentuch geben, damit ich ihn entfeuchten kann. Ein Probebild von mir im schicken Regenmantel folgt und nach einer minimalen Stärkung bin ich über den Sertig (Split: 8:33:25 h) ins gegenüberliegende Tal verschwunden.
Auch hier habe ich wieder einen Tempomacher vor mir. Obwohl ich beim Bergablaufen bisher stets Probleme hatte, gelingt es mir sein recht flottes Tempo mitzugehen. Die langsameren Läufer machen bereitwillig für uns Platz und so macht die Sache natürlich wieder Spaß. Zwar müssen auch hier einige "Sportler" die Serpentinen großzügig abkürzen, aber wenn es bei einer zufriedenstellenderen Endplazierung hilft? Dann ist das schon nachvollziehbar. Ich will mir ja schließlich nicht nur Feinde machen!
Das verhältnismäßig schnelle Bergab hat die kalte Oberschenkelmuskulatur ordentlich strapaziert, dementsprechend schleppend verläuft der Abschnitt zwischen Chuealp (2.204 m) und Sertig Dörfli (1.861 m). Vor der Kleinstsiedlung geht es dann durch wassergetränkte Kuhweiden mit Moorcharakter. Aber auch hier haben sich einige Zuschauer eingefunden. Die ausgelegte Zeitmeßmatte gibt beim Überlaufen keinen der gewohnten Pieptöne von sich, sie wird wohl ein Opfer der Dauerberieselung geworden sein. An der Verpflegung nehme ich mir nur ein kleines Stück Brot und entsorge meinen Regenumhang "fachgerecht". Es regnet zwar weiterhin ununterbrochen, aber der Wasserschutzmantel war ja mehr als Windschutz gedacht.
Die letzten zehn Kilometer bis zum Ziel sind auch weiterhin bergabführend, kleine Gegenanstiege ausgenommen. Ich muß jedoch, aufgrund der festen Muskulatur, immer öfterer zwischen den Laufabschnitten in den schnellen Wanderschritt übergehen. An den letzten beiden Versorgungspunkten in Boden (1.755 m) und Clavadel (1.664 m) gönne ich mir noch je einen Becher Cola. Davos kommt nun immer näher. Nur noch zwei, nur noch ein Kilometer und die Zivilisation hat mich wieder. Unter einer Brücke hindurch hoch zur Talstraße und am Ende ist auch schon das geöffnete Stadiontor zu sehen. Eine halbe Stadionrunde noch und es ist geschafft! Martin und Bruno warten gemeinsam mit Carsten (er wurde Gesamt-14. und Altersklassenerster beim K30) im Ziel auf mich. Die Zeit ist (für mich) auf den ersten Blick unterirdisch, aber mehr war eben nicht machbar.
Sertig Dörfli - noch 11 Kilometer bis Davos. (Witterungsbedingtes) Stiefkind "Zielbier".
Fast zehn Stunden war ich unterwegs! Jetzt hole ich mir nur schnell mein "Erdinger", die Medaille und das Finisher-Shirt. Wobei das Zielbier bei mir (und vielen anderen) heute gar nicht gut ankommt. Schade, dafür ist man doch den ganzen Tag auf Achse gewesen, aber bei dem Wetter vergeht einem der Appetit.
Nur schnell raus aus den durchnäßten Sachen, denn ich zittere bereits wie ein Schoßhündchen. Außerdem will ich ja Ute noch entgegenlaufen um sie auf den letzten Metern durch Davos zu begleiten. Deshalb wird auch alles aus dem persönlichen Kleiderbeutel übergestreift und mit einem Wegwerf-Regenumhang aus der Mülltonne regendicht versiegelt, denn eine Regenjacke habe ich klugerweise nicht eingepackt gehabt.
Unter der Brücke, ca. 700 Meter vor dem Ziel, warte ich kurz darauf auf Ute. Sie kommt knapp eine Stunde nach mir in Davos an. Ein paar Meter kann ich mit ihr mithalten, dann muß ich jedoch die Abkürzung über das Spielfeld nehmen um ein Zielfoto von ihr schießen zu können. Auch sie ist abgekämpft, aber glücklich! Der berühmte Haken ist dran!
Platz 303 in 10:53:26 h. Platz 1 in 6:30:18 h. Platz 143 in 9:49:42 h.
Fazit: Ein Muß in jeder Laufvita! Der Klassiker schlechthin! Hervorragend organisiert und durchgeführt! Der Dank gilt, wie immer denen, die zum Gelingen der Veranstaltung beigetragen haben.
Ergebnis K78 - Männer: 699 am Start / 579 im Ziel
1. Buud, Jonas (Mora - SWE) - 1. M40 - 6:30:18 h
2. Ritter, Beat (Pontresina - SUI) - 1. M35 - 6:38:51 h
3. Berner, Mirco (Kempten) - 1. M20 - 6:53:39 h
4. Halme, Tomi (Espoo - FIN) - 1. M25 - 7:03:00 h
5. Verme, Patrik (Karlstad - SWE) - 2. M40 - 7:17:26 h
6. Nilsson, Robert (Stockholm - SWE) - 1. M30 - 7:22:30 h
130. Delling, Thomas (Chemnitz) - 29. M40 - 9:49:42 h
Ergebnis K78 - Frauen: 148 am Start / 113 im Ziel
1. Zimmermann, Denise (Mels - SUI) - 1. W35 - 7:47:57 h
2. Kahl, Claudia (Meiringen) - 1. W30 - 8:12:50 h
3. Poltera, Ornella (Chur - SUI) - 1. W20 - 8:33:38 h
4. Meneghin-Pliska, Maja (Vermes - SUI) - 2. W35 - 8:41:49 h
5. Denneny, Carla (London - GBR) - 2. W30 - 8:47:53 h
6. Werthmüller, Gabriele (Zuchwil - SUI) - 1. W40 - 8:50:57 h
33. Herfurt, Ute (Chemnitz) - 6. W50 - 10:53:26 h
Veranstalterseite: www.swissalpine.ch