20.-24.05.2020 | 571 km | 4.808 Hm+ | 4.808 Hm- | (Trainingsfahrt) |
Dieses Jahr kommt nun mal nicht so recht in Schwung. Alles scheint still zu stehen, zu verharren und abzuwarten. Nur die Planungen für dieses Jahr sind intensiver denn je, weil alles situationsbedingt zwei-, dreimal umgeplant werden muß. So trifft es auch den verlängerten Männertagsausflug zur MSR, wo dem dortigen 300er eine dreitägige Radanreise vorgeschaltet sein soll. Doch Chefplaner Tilo läßt diese Absage nicht einfach so unbeantwortet im Papierkorb verschwinden. Mit einer flink aus dem Hut (resp. Fahrradhelm) gezauberten "MTT" (etwa einer "Mutter-Tochter-Tour", wie ich anfangs vermutete) wird ein neues, abendfüllendes Konzept vorgelegt, welches nun auf seine Feuertaufe wartet.
Es ist nur ein abgespecktes Programm, schließlich wären beim ursprünglichen Ausritt rund 700 Kilometer auf dem Tacho erschienen. Grund genug, sich über die Bezeichnung MTT "abwertende" Gedanken zu machen - eine äußerst angebrachte Verhaltensweise, vor allem, wenn das persönliche Radtraining gerade mal einen knapp 50 Kilometer bemessenen Ausflug zu Rosse umfaßt. Siggi und Tilo stehen dagegen voll im Saft. Mit mehreren Hundertern in den Waden dürfte diese "kleine Sachsenrundfahrt" keine größere Hürde für die beiden darstellen: ein Land, zwei Regierungsbezirke, sechs Landkreise, 142 Ortschaften, 571 Kilometer und 4.808 Höhenmeter.
20.05.2020 | 12:20 Uhr | 106 km | 714 Hm+ | 944 Hm- |
Chemnitz - Döbeln - Riesa - Zabeltitz
Den Aufgalopp zum Feiertag macht ein flacher Hunderter zu unserem ersten Quartier jenseits der Elbe am Vortag des Männertages. Nach "Feierabend" ist der Chemnitzer Wissmannhof der Treffpunkt, von dem es über Euba ins Zschopautal nach Niederwiesa, Lichtenwalde und Frankenberg geht. Ohne großes Federlesen wird die erste kleine Anhöhe über Sachsenburg in den Rossauer Wald genommen und mit spärlichen, aber teils bissigen Anstiegen bis Döbeln fortgesetzt. Eine kleine Verschnauf- und Essenspause an einer vielbefahrenen Straße, noch weit vor Riesa, zeichnet danach Siggis goldenes Händchen beim Abwägen der möglichen Rastplätze aus. Seine Auswahlkriterien für solche Zwischenstopps sind definitiv noch nicht ganz dem Fünf-Sterne-Bereich zuzuordnen, doch zu deren Perfektionierung haben wir ja noch ein paar Tage Zeit.
In Riesa setzen wir ans nördliche Ufer der Elbe über und haben nun nur noch wenige Kilometer bis Zabeltitz, einem Stadtteil von Großenhain, zu strampeln. In der örtlichen Parkschänke beziehen wir Quartier und testen im Biergarten schon mal die üblichen Männertagsgetränke aus der Angebotsliste, welche natürlich auch feste Beilagen offeriert. Im (an den Hinterausgang anschließenden) Barockgarten endet für uns der Tag mit allerlei Mammon und Romantik zwischen Palais und dazugehörigem Spiegelteich mit darin beheimateten Schwarzen Schwänen. Durch unser hervorragendes Zeitmanagement erleben wir ganz nebenbei den Sonnenuntergang in der Lichtschneise der Parkbäume und im Gewässer vor dem Barockschloß hautnah mit. So ein schnulzig-schönes Ende schon nach der ersten Etappe! Wie soll das an den Folgetagen noch gesteigert werden?
21.05.2020 | 9:00 Uhr | 129 km | 659 Hm+ | 599 Hm- |
Zabeltitz - Kamenz - Niesky - Rothenburg
Ein mehr als sättigendes Frühstück bildet die solide Grundlage für die zu erwartende Flüssigkeitszufuhr am Vatertag. Dafür stecken natürlich wieder die zwei Plasteflaschen mit verdünntem Iso am Rahmen des Fahrrades. Zudem ist es deutlich wärmer als tagszuvor. Beim morgendlichen Briefing ist in Tilos Ansprache noch von rund 170 Kilometern über Bad Muskau und weiter bis Rothenburg die Rede. Folgt dem kitschigen Ende des ersten Tages etwa eine brutale Männertags-Tortur statt der vereinbarten Männertags-Tour? Mit zitternden Beinen und flauem Magengefühl nehme ich auf meinem Zweirad platz. Die ersten hundert Meter ziehen wir durch den Barockgarten, dann folgen die gefürchteten, schattenlosen und monotonen Überlandabschnitte. Es kündigt sich ein Tag an, den man von der Intensität her, dann doch besser im Vollsuff a la Männertagstradition ertragen möchte.
Doch wie schnell all' diese Ängste Schall und Rauch werden können, demonstriert Siggi dann auf seine spezielle Art und Weise, die wir seit dem 2018er Langzeitaufenthalt an einer Freiberger Tankstelle schon regelrecht vermißt haben. Sicherlich kann man nach gut einer Stunde Fahrzeit zur ersten HU (Hauptuntersuchung) am Hinterrad eine Zwangspause einlegen. Wenn aber dieser Kontrollzwang keine 500 Meter weiter, im noch selben Ort (Stölpchen, Kilometer 28), seine Fortsetzung findet, ist der Zeitplan schnell in Gefahr und bedarf einer Korrektur. Während Siggi also die alte gegen frische Luft in einem neuen Schlauch und obendrein noch neuen Reifen tauscht, sitzt Tilo vor der ausgebreiteten Landkarte und malt eine Streckenvariante nach der anderen in die Landschaft.
In Brauna müssen wir, trotz bestehendem Zeitverzug, getränkebedingt halten. Es ist schließlich Feiertag! Zur hopfendurchsetzten Flüssigkeit wird noch richtig fettige Wurst gereicht. Na wenigstens ein kleiner Trost für die entgangenen Kilometer. Weit hinter Kamenz, in Luppa, können wir Reiseleiter Tilo von einer zweiten Getränkepause überzeugen, ehe wir weiter gen Niesky rollen. Da es unser neuer Zeitplan nun sogar erlaubt, rasten wir zudem noch unter dem schattigen Dach der mächtigen Eichen, welche den Soldatenfriedhof von Sproitz säumen.
In Rothenburg residieren wir in einer modernen Ferienanlage, in der alle Appartements Namen kubanischer Städte oder Provinzen tragen. Wir werden dabei nach Matanzas (übersetzt: Schlachtung oder Gemetzel) und Havanna (Villa de San Cristóbal de la Habana) verfrachtet. Obwohl beide Städte nur rund 100 Kilometer voneinander entfernt liegen, ist die Distanz in unserem Domizil (maßstabsgerecht) wesentlich größer. Tür an Tür zur kubanischen Hauptstadt liegt jedoch (das über 800 Kilometer entfernte) Guantanamo, welches kaum mit der Stadt, sondern eher mit dem Marinestützpunkt der US-Navy und dem darauf befindlichen Gefangenenlager (mit seinen Menschenrechtsverletzungen) in Zusammenhang gebracht wird. Siggi und Tilo verbrachten dann aber trotz aller Befürchtungen eine ruhige Nacht in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft zu Camp Delta.
22.05.2020 | 9:00 Uhr | 114 km | 1.078 Hm+ | 828 Hm- |
Rothenburg - Görlitz - Zittau - Neugersdorf
Tag 3 ist Ruhetag ... so steht es zumindest in Tilo's Agenda. Statt jedoch einen Strandtag im Norden Kubas zu genießen, müßten wir wieder in die Pedale treten: 'rüber zur Neiße und auf dem gleichnamigen Radweg nach Görlitz. Die geteilte Stadt präsentiert sich dabei (durch einen von polnischem Militär abgesicherten Bauzaun auf der Neiße-Brücke) "gespalten". Der Billigkauf von Kippen und Klimmbimm entfällt also. Dafür genehmigt die Reiseleitung nur ein paar Kilometer weiter am Nordstrand des Berzdorfer Sees bei Deutsch-Ossig ein Bad in den "Fluten". Nur Tilo und Siggi haben den Mut zum Vollbad, während Ute wenigstens ihre Füße abkühlt. Tja, Ruhetag bedeutet nun mal für mich nicht automatisch, das volle Wellness-Programm abzugreifen. Mir reicht es, in der Strandbar genüßlich ein Bräu zu zischen, nachdem ich kurz zuvor publikumswirksam mit dem Vorderrad meines Gefährts im Sand stecken blieb und eine (in der B-Note) hervorragende Rolle präsentierte.
Bis zum Zittauer Drei-Länder-Eck, an dem der Ullersbach in die Lausitzer Neiße mündet und somit den Grenzverlauf zwischen Deutschland, Polen und der Tschechischen Republik markiert, verläuft die Tour nahezu ohne großen Höhenmeterzuwachs. Dafür säumen mit der Kulturinsel Einsiedel, dem Görlitzer Neißeviadukt, dem Schaufelradbagger 1452 in Hagenwerder und dem Kloster St. Marienthal einige Sehenswürdigkeiten den Wegesrand, welchen ein Ruhetag die notwendige Beachtung schenken sollte.
Unser anschließender Weg durch das Zittauer Gebirge glänzt dafür mit Ausblicken (z.B. zum Jeschken), Felsformationen (Kelchsteine), ehemaligen Sportstätten (Skisprungschanze Oybin, unter welcher in der Nähe der Hochwaldbaude eine Straße hindurchführt) und natürlich mit einem ständigen Bergauf/Bergab (im Regen). Das bringt Höhenmeter auf die Uhr und schwere Beine unter den Abendbrot-Tisch.
Während sich die anderen mit frisch gegrillten Fleischgerichten sättigen, mime ich den Vegetarier und esse nur etwas Salat. Natürlich muß ich daraufhin vor versammelter Mannschaft eine viertelstündige Erklärung abgeben, warum ich mich so gehenlasse. In der allgemeinen Bierseeligkeit erzähle ich irgendwas von der regenerierenden und entzündungshemmenden Wirkung durch Tomatenkonsum, weil ich doch zur sogenannten Königsetappe tagsdarauf nicht schon wieder schwächeln will.
23.05.2020 | 9:00 Uhr | 135 km | 1.459 Hm+ | 1.249 Hm- |
Neugersdorf - Sebnitz - Bad Schandau - Heidenau - Altenberg
Der neue Tag beginnt, wie der alte Tag endete. Es tröpfelt, es regnet, es gießt und beim Frühstück sind als erstes alle Tomaten vergriffen. Meine abendliche Sühnerede zeigt also Wirkung, aber wenn selbst Tilo und Siggi zu solchen Tricks greifen, läßt der bevorstehende Tag nichts Gutes erahnen. Aufgrund des Regens erhoffe ich mir einen weiteren Ruhetag. Tilo wird ja wohl im Laufe des Tages Shuttlebusse organisieren können, welche uns trocken nach Altenberg bringen werden. Stattdessen bietet er uns eine Alternative an: ein paar Kilometer mehr und ordentlich Höhenmeter weniger, als es geplant war. Dies wird einstimmig genehmigt und (vorerst) ohne Regen begeben wir uns in die Spur.
Sämtliche interne Bergwertungen bis Sebnitz gehen an Siggi. Erst ein längerer Bier- und Suppen-Halt (Dunkles aus dem böhmischen Schönlinde und Brennesselsuppe des Hauses) in der Kräuterbaude nahe Hinterhermsdorf bremsen ihn aus. Ute nutzt dabei die Gunst der Stunde und sichert sich die Bergpunkte am "Paß" ins Kirnitzschtal. Dort hat der Borkenkäfer ganze Arbeit geleistet. Komplette Fichtenbestände stehen kahl in der Landschaft und nehmen damit dem ehemals wildromantischen Talkessel einen Großteil seiner einstigen Schönheit. Trotzdem reißt der Besucherstrom in dieses Tal nicht ab. Sämtliche Abstellmöglichkeiten für Kraftfahrzeuge am Rand der Straße sind ausgereizt, zudem bringt die Kirnitzschtalbahn waggonweise Nachschub aus Bad Schandau.
An der Elbe angelangt, wird nun der Elberadweg bis Heidenau genutzt, um dort nach einer kleinen Pause auf einem Supermarkt-Parkplatz den finalen Ritt zum nächsten Quartier anzugehen. Wir tingeln ganz sachte an Höhe gewinnend, das Müglitztal empor: Dohna (zweitälteste Stadt Sachsens), Weesenstein (Schloß und Schloßpark), Schlottwitz (1.000jährige Eibe) und Glashütte (Uhrmacherhandwerk). In Bärenhecke erfolgt dann der steilere Schlußanstieg auf der Bielatalstraße zur Ladenmühle in Hirschsprung (Altenberg). Als abgeschlagener Letzter erreiche ich unser Hotel. Der Tomaten-Zauber vom Vorabend - wirkungslos! Eine sofortige Ernährungsumstellung ist daher zwingend notwendig.
24.05.2020 | 9:15 Uhr | 87 km | 898 Hm+ | 1.188 Hm- |
Altenberg - Holzhau - Pockau - Flöha - Chemnitz
Am Sonntagmorgen, noch vor dem Frühstück, muß Siggi seine überschüssige Kraft in einem kleinen Läufchen, beginnend mit dem 15%igen Anstieg Richtung Altenberg, abbauen. Er versteht es blendend, seine Mitstreiter für die Schlußetappe zu motivieren. Diese beginnt mit dem flacheren Anstieg zur Bobbahn (Eiskanal Altenberg) und weiteren Schlaufen auf der B170. Dort entscheidet sich Siggi nach einer kurzen rasanten Abfahrt mal wieder eine seiner berühmt-berüchtigten Hinterrad-Inspektionen durchzuführen. Natürlich erhofft man sich dabei mit dem Einbringen der eigenen Arbeitskraft auf ein schnelles und erfolgreiches Ende dieser Prozedur. Doch weit gefehlt! Diesmal offenbart sich bei der HU ein irreparabler Schaden am Reifen und somit das zwangsläufige Aus von Siggi, da sämtliche Reserven zur Behebung des Malheurs schon aufgebraucht sind. Bei einer bewegenden Abschiedszeremonie, verbunden mit dem gemeinsamen Wunsch, daß Siggi es doch noch bis in die Zivilisation schaffen möge, kommt Tilo die Idee, Andreas aus Dresden aus seinem sonntäglichen Trott zu entreißen und ihm die Beschaffung von Ersatz aufzuerlegen.
In der Zwischenzeit wird die Reparaturstelle vorbildlich mit einer weithin sichtbaren weißen Fahne markiert, damit die eintreffende Hilfe keine Zeit bei der Standortsuche vergeudet. Es läuft wie am Schnürchen. Die Handgriffe sitzen. Ein komplett neues Hinterrad und neue Bremsbelege werden Siggi, dank Andreas' unkomplizierter Hilfe, nun nach Hause schaukeln. Schade, daß wir die Möglichkeit nicht genutzt haben, um Siggi's Bremsen dabei wenigstens etwas enger einzustellen. Diese "kleine Geste" hätte etwas Chancengleichheit geschaffen, so aber geht die nächste Bergwertung (19%-Anstieg) wiederum an Siggi.
Entlang der sächsisch-böhmischen Grenze, im Tal des Hirschbaches, überrascht uns ein erster kräftiger Regenschauer. Blöd, daß der Unterstand am grünen Grenzübergang Holzhau-Moldau auf tschechischer Seite steht. Doch einen illegalen Grenzübertritt können wir uns nicht erlauben, schließlich macht das Tschechische Militär keinen großen Ruß und eine 14tägige Quarantäne würde sich daraufhin anschließen. Hinzu kämen noch die enormen finanziellen Aufwendungen für tschechische und deutsche Behörden. Da haben wir es etwas weiter im Landesinneren dann besser. Ein gemauertes Bushäuschen in Helbigsdorf bietet uns bei einem halbstündigen Regenguß einen angenehmen Schutz vor Wind und Nässe. Nach einem Schönwetterritt durchs Lößnitztal, über Falkenau nach Flöha, erwischt uns ein weiterer kräftiger Wolkenbruch am Ende der Struth. Das dort vorhandene Waldstück bietet allerdings nur sehr bescheiden davor Schutz.
Doch so etwas haut uns kurz vor Ultimo auch nicht mehr aus dem Sattel. Am Ortseingang von Adelsberg verabschieden sich Siggi und Tilo von uns. Habt Dank, daß ihr uns "Bremsklötze" mitgenommen habt! Ein riesiger Dank geht natürlich auch an Andreas, der unsere letzte Etappe so großartig gerettet hat. Auf alle Fälle wird mir die Abstufung dieser für mich anspruchsvollen Radtour zur "Mutter-Tochter-Tour" nie wieder über die Lippen rutschen.
Bilder: Tilo (12), Siggi (2), Thomas (6), "Strava" (5)