06.08. bis 09.08.2016 - ca. 87 km / 6.880 Hm+ / 7.140 Hm- (mit Petersköpfl)
Das Haar sitzt - auch auf über 3.000 Meter Seehöhe (Abstieg vom Schönbichler Horn ins Garberkar)
Wie es sich schon vermuten läßt, ist der Berliner Höhenweg kein Rundkurs über die topographischen Erhebungen der deutschen Hauptstadt, sondern ein recht anspruchsvoller Wanderweg durch die Zillertaler Alpen. Damit da auch keine Zweifel aufkommen, sorgt der Zusatz "Zillertaler Runde" für Gewißheit.
Nun ist die Runde als Hüttentour für sechs bis acht Tagesetappen ausgelegt. Das dies auch schneller geht, bewies 2015 der einheimische Bergläufer Markus Kröll, der die kompletten 95,4 Kilometer (?) von Finkenberg nach Mayrhofen in 23:45 Stunden absolvierte. Das mag jetzt, im Vergleich zu anderen Weitwanderwegen und deren zeitlich schnellste Bewältigung, nicht so spektakulär erscheinen, ist aber aufgrund der technischen Schwierigkeiten (Blockgelände, schmale Pfade an steilen Hängen, Seilsicherungen) mehr als beachtlich. Für Ute und mich kam ein "läuferisches" Abhaken der Strecke jedoch nicht in Frage. Allerdings hatten wir nur einen Zeitraum von drei wettermäßig gängigen Tagen für unsere Unternehmung zur Verfügung gestellt bekommen und deshalb trotzdem eine Art Termindruck im Nacken sitzen. Daher galt es, im ambitionierten Wanderschritt die Sache zu erledigen, ohne dabei die Schönheit der Natur mit Hast und Eile zu mißachten.
06.08.2016 - 1. Etappe, Finkenberg - Friesenberghaus:
Vom Hintertuxer Linienbus lassen wir uns des Morgens in Finkenberg (910 m) an der Teufelsbrücke auswerfen. Es ist 8:30 Uhr, als wir uns den Weg durch ein Zeltlager von "Schürzenjäger"-Groupies bahnen, deren Stars am Abend im Ort zum "Tanze" bitten. Schnell haben wir jedoch dieses Feiermekka hinter uns gelassen und biegen in den Wald ein und weil es leicht vor sich hinregnet, sind wir im Anstieg zur Gamshütte (1.921 m) auch allein unterwegs. Auf dem Hermann-Hecht-Weg werden die ersten eintausend Höhenmeter in angenehm weitläufigen Serpentinen erledigt. Da der Starkregen des Vortages die Pfade in kleine Bäche verwandelt, nehmen wir auch ab und zu den etwas längeren ("trocknen") Fahrweg. Gegen 10:20 Uhr erreichen wir die im Wolkennebel liegende Hütte und zehn Minuten später begeben wir uns auf den mit neun Stunden angeschriebenen Auftakt des Berliner Höhenweges zum Friesenberghaus. Bis zu diesem sind im ständigen bergauf/bergab 1.400 Höhenmeter im Anstieg und rund 850 Gefällemeter auf ca. 14 Kilometern Wegstrecke zu absolvieren. Da es durch den Regen sehr naß und glitschig ist, machen die Pfade auf steilen Grashängen oder später durch Blockgelände keinen richtigen Spaß. Auch ist die Sicht durch die tiefhängenden Wolken stark eingeschränkt und so das angepriesene "tolle Panorama" nicht vorhanden. Unsere erste Rast an der Grauen Platte ist so auch ohne zusätzliche Kost für die Augen bestimmt. Dies ändert sich jedoch beim Picknick unterhalb der Kesselalm, wo sich mehrere Wasserarme des Birgberkars zum Kesselbach vereinigen. Die Notverpflegung zwischen beiden Punkten sichern reich bestückte Blaubeersträcher an den Wegrändern des Schrambach-, Nest- und Hauserkars ab. Am Ostgrat des Kleinen Rifflers geht es wieder straff nach oben und man gelangt in das Wesendlekar mit gleichnamigem See. Nun ist es am Fuße des Petersköpfls nicht mehr weit und die Hütte ist von weitem schon zu sehen.
Nach sechseinhalb Stunden erreichen wir 17 Uhr das Friesenberghaus (2.498 m). Obwohl uns den gesamten Tag über nur eine Person auf unserer Tour begegnete, ist die Hütte voll. Wir bekommen daher zwei Schlafplätze (a 5 Euro) im Notlager zugewiesen und kümmern uns vor dem Abendessen (Spaghetti Carbonara mit Bohnensalat und Bier) noch um das Unterbringen unserer nassen Utensilien im übervollen Trockenraum. Der abendliche Wetterbericht, der im besten Dialekt vom Hüttenwirt vorgetragen wird, gibt uns dann auch eine gewisse Planungssicherheit: am morgigen Sonntag zieht es langsam auf, der Montag wird sonnig und warm, am Dienstag beginnt es vormittags mit regnen und gewittern und ab Mittwoch folgt ein Kälteeinbruch mit Schneefall auf knapp über 2.000 Meter Höhe. Wir haben also nicht so viel Zeit. Deshalb muß am nächsten Tag die nächste Doppeletappe folgen. Wir sind gegen 21:30 Uhr die ersten, die ihre Schlafgemächer aufsuchen ...
07.08.2016 - 2. Etappe, Friesenberghaus - Berliner Hütte:
Kurz vor 7 Uhr ist die Nachtruhe beendet - für Berghüttenverhältnisse ziemlich spät, was wohl an der Tatsache liegt, daß es ab 7 Uhr erst Frühstück gibt. Wir verlassen (ohne Mahlzeit) kurz nach halb acht das Haus. Obwohl uns eine ambitionierte Tagesaufgabe bevorsteht, machen wir noch einen kurzen Abstecher zum Petersköpfl (2.679 m). Dort gönnen wir uns zwischen all den Steinmännchen unser zehnminütiges Frühstück (Brot mit Wurst) und sind 8:35 Uhr wieder am Friesenberghaus, um unsere Tour zu starten. Unterhalb des Friesenbergsees nimmt der Weg schnell an Höhe zu und verläuft am östlichen Hang der Gefrorenen-Wand-Spitzen (mit ihren unübersehbaren Skizirkus-Aufbauten) südlich zur Olperer Hütte (2.389 m), die wir 10 Uhr zum schnellen Nachtanken mit Radler und Heißer Schokolade erreichen. Die Wolken verziehen sich so nach und nach und der Bergtouristenstrom aus dem Tal zum 2007 neu erbauten Haus reißt nicht ab. Am Schlegeisspeicher (1.782 m) scheint sich dann das Epizentrum touristischem Bergsports zu befinden. Menschenmassen verstopfen die normalen Wege rund um den künstlich angelegten See. Entlang des südwestlichen Ufers gelangen wir Richtung Schlegeiskees. Davor biegt der Pfad in vielen Windungen hinauf zum Furtschaglhaus (2.295 m) ab, wo wir 13 Uhr Platz zum Mittagstisch nehmen. Auch dort ist der Andrang groß und die Bestellung von zwei Halben Radler zieht sich. Nach einer zwanzigminütigen Pause brechen wir zum höchsten Punkt des Höhenweges auf - dem Schönbichler Horn. Der Weg dahin ist durch den aufgeweichten Neuschnee im oberen Teil beschwerlich. Die finale Rinne zum Grat ist jedoch mit Seilsicherungen verbaut, welche den Aufstieg auf dem rutschigen Gestein ungemein erleichtern. Nun sind es nur noch wenige Höhenmeter zur Linken und wir stehen 15:30 Uhr am Gipfelkreuz des Schönbichler Horns (3.134 m). Das Mittagessen wird nun stilvoll mit Panoramablick nachgeholt. Einen Makel hat unsere Rast dann aber doch. die Kassette für das Gipfelbuch ist zwar proppevoll (mit Müll) - das Buch fehlt jedoch und wird (notdürftig) durch eine Lose-Blatt-Sammlung in einer Plastetüte ersetzt. Dafür ist die Stempelstelle "unten" am Grat sogar noch mit einem (nichtangebundenen) Stempel versehen. Gegen 16 Uhr machen wir uns an den Abstieg ins Garberkar. Auch hier sind die ausgesetzten Stellen mit Seilen gesichert. Wir schnallen uns aber, aufgrund des schmierigen Schneebelags, die Yaktrax XTR (eine Art Steigeisen für Laufschuhe) unter die Füße. Auf dem Nordostgrat hält eine, meiner zwei Steighilfen dieser Belastung nicht stand und wird durch ein gerissenes Kettenglied "unbrauchbar". Im unteren Teil des Grates (ca. 2.600 m) ist der Schneebelag verschwunden, so das ein normales Absteigen wieder möglich ist. Hierbei sind manche Stellen noch seilgesichert und im großen Zickzack wird ein Seitenarm des Waxeggkees angesteuert. Nun geht es noch bis zur Flußquerung bergab, ehe es auf der anderen Seite des Gletscherabflußes wieder leicht steigend zur Berliner Hütte (2.044 m) geht. 18:45 Uhr nehmen wir die letzten Meter an zwei Hausschweinen vorbei zur noch sonnigen Terrasse des unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes.
Leider bekommen wir in dem mit reichlich Holzvertäfelungen bestückten und recht urbelassenen "Schloß" keine Übernachtung mehr angeboten und müssen mit zwei Lagerplätzen (11 Euro pro Nase) im Außenquartier vorlieb nehmen. Unser Abendbrot besteht zur Abwechslung aus Spaghetti Bolognese und drei Bier und als Nachtisch gibt es die kostenlose Hausbesichtigung unter Ute's Führung. Gegen 21 Uhr verkriechen wir uns in unsere Schlafsäcke ...
08.08.2016 - 3. Etappe, Berliner Hütte - Kasseler Hütte:
Der Tag beginnt für uns 6:30 Uhr. Neben dem morgendlichen Hygiene(not)programm und dem Sortieren der Ausrüstungsgegenstände, versuche ich mich in der Reparatur des defekten Steigeisens - vergeblich, denn das mitgeschleppte Multifunktionsmesser kann nun mal keine Grobschmiedarbeiten verrichten. Gegen 7:10 Uhr brechen wir ins Schwarzensteinmoor auf um eine Stunde später am Schwarzsee (2.472 m) unser Frühstück nachzuholen. Dabei wird das sonnige Morgenpicknick nach einer Viertelstunde von einer Herde Schafen gestört, welche unbedingt unsere Rucksäcke "probieren" wollen. Also machen wir uns auf den weiteren Weg ins Rosskar. Der Schnee ist hier noch gefroren und ein Vorankommen wesentlich besser als am Vortag. Die Mörchenscharte (2.872 m) ist kurz nach halb zehn erreicht. Nun geht es erst sehr steil an Seilsicherungen und später in kleinen Serpentinen auf Schnee und Gestein hinab. Eine größeres Schneefeld lädt dabei sogar zum "Skifahren" ein. Vom Tal aus kommen uns gut 30 Bergwanderer entgegen. Zum Glück haben wir sie schon passiert, als im unteren Teil des Abstieges noch einmal Seile einen Felsabschnitt absichern. Als krönender Abschluß vor Erreichen des Floitengrundes wartet eine 24-sprossige Aluleiter auf uns. Nach der Überquerung des Floitenbaches (1.834 m) gelangen wir auf langgezogenen Kehren in 45 Minuten zur Greizer Hütte (2.227 m). Es ist 12:30 Uhr und Zeit für ein Radler. Dieses nehmen wir aufgrund des Trubels auf der Terrasse des Hauses etwas abseits in der Sonne am Winterlagerraum ein.
Eine halbe Stunde später verabschieden wir uns durch den hütteneigenen "Hühnerstall" in Richtung Lapenscharte. Dabei gelingt uns zwar ein kurzer Verläufer, der uns zum Gigalitz gebracht hätte, aber 14:20 Uhr haben wir dann doch den Übergang zum Stilupptal, die Lapenscharte (2.701 m) erklommen. Mit den letzten Käsereserven und etwas Brot im Magen nehmen wir zehn Minuten später den Abstieg in Angriff. Unser heutiges Ziel, die Kasseler Hütte, sowie unsere letzte Etappe auf dem ehemaligen Siebenschneidensteig zur Edelhütte sind sehr gut von der Gegenseite auszumachen. Nach dem Abstieg ins Lapenkar steht uns der langezogene Bogen an den Wänden des Großen Löffler, der Keilbachspitze und der Grüne Wand Spitze durch Elsenklamm, Löfflerkar und Eiskar bevor. Stellenweise ist der Pfad sehr ausgesetzt und deshalb wieder mit Seilen und Tritten gesichert. Kurz nach halb sechs kommen wir an der gutbesuchten Kasseler Hütte (2.178 m) an. Für 32 Euro buchen wir ein Zimmer und nehmen zum Abendmahl die Makkaroni Arrabiata mit etwas Bier zum Nachspülen. Gespannt warten alle Anwesenden dann auf den Wetterbericht vom Hüttenwirt, der jedoch etwas "schwammig" erscheint. Zumindest soll es kein Gewitter und auch keinen Schnee geben. Auf diese Aussage vertrauend, begeben wir uns gegen 21 Uhr ins Bett ...
09.08.2016 - 4. Etappe, Kasseler Hütte - Mayrhofen:
Es ist 5:15 Uhr, als wir die Vorbereitungen für den letzten Abschnitt treffen. Die Sektionsfahne vorm Haus zeigt durch ihr schlaffes Herabhängen das Fehlen des erhofften Föhns aus Südtirol an. Der Regen von Norden wird also eher das Gebiet erreichen, als vorhergesagt. Auf die Gefahren des Aschaffenburger Höhenweges (Kasseler Hütte bis Karl-von-Edel-Hütte) bei Nässe hatte der Wirt schon hingewiesen: durch das mit der Landkartenflechte bewachsene Gestein wird das Blockgelände bei Regen schnell schmierig und die teils steilen Grashänge am Ende des Steiges, die stellenweise noch mit Schneeresten versehen sind, werden auch nicht einfacher - da könnten aus den angeschriebenen neun Stunden auch mal ganz schnell zehn oder elf werden. Am Vorabend hatten zwei unserer Tischnachbarn den Abschnitt in sechseinhalb Stunden (bei Trockenheit) absolviert - eine Zahl, mit der ich auch für uns rechne. Auf dem rund 14 Kilometer langen Teilstück gibt es zudem keinen Notabstieg ins Tal, aber Gewitter kommt ja keins! Für 5:50 Uhr trage ich uns aus dem Hüttenbuch aus. Wir wandern straff den Talabstieg der Hütte (im Sonntagskar) hinab, bis der ehemalige Siebenschneidensteig abbiegt, auf dessen Weg insgesamt sieben Grate zu überqueren sind - daher der Name. Die Sonntagskarkanzel (2.202 m) markiert dabei das Ende der Roßwand, dem ersten von uns zu überwindenden "Schneid". Durch Samerkar und Weißkar gelangen wir 7:30 Uhr am Weißkarjöchl zum Aschaffenburger Biwak (2.135 m), einer 2010 errichteten Notunterkunft mit vier Schlafplätzen. Wir werden hier eine kurze Frühstückspause einlegen, denn ein Drittel der Wegstrecke liegt jetzt bereits hinter uns. Es folgt die Nofertensmauer auf dem Hennsteigenkamp (2.277 m), welche ins Nofertenskar führt. Gegen 8:45 Uhr am Samerschartl (2.392 m) beginnt es ganz leicht zu regnen. Das folgende Blockgelände im Hasenkar ist jedoch noch relativ gut zu durchqueren. An der Krummschnabelscharte (2.478 m) hat sich der Regen schon zum Starkregen gemausert und zusätzliches Donnergrollen über uns vereinfacht die Sache nun auch nicht gerade, zumal der Grat mit Seilsicherungen übersät ist. Es folgt das Popbergkar, welches mit nun glitschigen Felsbrocken ausgestattet ist und uns jede Menge Zeit kostet. Dann erkenne ich in einem kurzen Moment des Aufziehens die finalen Grashänge der Sonnwand. Ich mache Ute Mut, da der Regen in leichten Hagel übergegangen ist und das Gewitter immer noch über uns lauert. Der Pfad ist ab und zu noch mit Schneeresten "veredelt", welche nicht unterschätzt werden dürfen. Am Popbergnieder (2.448 m) haben wir es dann geschafft! Er markiert den Übergang ins Föllenbergkar und die Edel-Hütte ist schon im Wolkendunst zu erkennen. Das Gewitter hat sich verzogen und so kann der Abstieg ganz entspannt angegangen werden. Die Bachdurchquerungen werden nun ganz normal genommen (ohne Hüpfen von Stein zu Stein) - es ist ja sowieso alles naß. Nach rund fünfeinhalb Stunden sind wir kurz vor 11:30 Uhr an der Karl-von-Edel-Hütte (2.238 m) die ersten Tagesgäste.
"Hat es geregnet?", so die scherzhafte Frage vom Personal, während es draußen weiter kübelt. Nach einer grundhaften Neuausstattung mit trockener Kleidung (Pflichtausrüstung bei Bergtouren!) nehmen wir im Gastraum Platz und gönnen uns je eine Erbsensuppe mit Würstchen. Eine Heiße Schokolade und ein Bier runden das Mittagsmahl ab. Wir zwängen uns danach in unsere klammen Regenklamotten und setzen 12:40 Uhr unseren Abstieg ins Tal fort - der Regen hat dabei etwas nachgelassen. Nun müssen wir aufpassen, damit wir nicht einen der vielen schwarzen Molche ertreten, die den Weg nun belagern. Über die Ahornach Alm (1.575 m) und den Berggasthof Alpenrose (1.398 m) führt der Ahornweg steil und in engen Kehren durch den Wald hinab nach Mayrhofen, wo wir 15:50 Uhr "unseren" Berliner Höhenweg nach 208.022 Schritten und 17.121 verbrannten Kilokalorien beenden.
Bilder folgen im September.