11.09.2021 | 5 Uhr | 64,9 km | 2.491 Hm+ | 2.491 Hm- | DM Ultratrail |
"Wir können nicht alle Helden sein, weil ja irgendeiner am Bordstein stehen und klatschen muß, wenn sie vorüberschreiten.", stellte der amerikanische Komiker Will Rogers vor rund 90 Jahren klar. Ähnliche Gedanken machten sich Ute und ich in der heißen Phase der Vorbereitung auf den Heldentrail ebenfalls, denn diese bestand in den sechs Wochen vor dem Startschuß aus sportbefreitem Zeitvertreib mit darauf maßgeschneiderten Durchhalteparolen. Wenn man jetzt noch das Will-Rogers-Phänomen zur Mittelwertbildung von Gruppen heranziehen würde, käme dies, bei einem kurzfristigen Wechsel vom Starterfeld "hinter die Bordsteinkante", einer sportlichen Aufwertung beider Bereiche gleich. Warum also nicht (die Seiten wechseln)?
Es ist sicherlich recht anmaßend, sich untrainiert einem Wettkampf zu stellen, der sich durch sein steiles Auf und Ab über Pfade und Steige den Namen Heldentrail gesichert hat. Zu allem Überfluß ist diese Kategorie des diesjährigen Südthüringentrails auch noch Wertungsstrecke für die Deutsche Meisterschaft im Ultratrail der DUV. Somit ist das Starterfeld durch die Anwesenheit der Spitze des deutschen Ultratrail-Laufsports auch noch gehörig aufgepeppt und ein Start im desolaten Fitnesszustand tunlichst zu vermeiden. Doch da hat die Vernunft die Rechnung ohne Ute und mich gemacht. Wir treten trotzdem an - ist ja schließlich alles bezahlt ... und außerdem eine der wenigen Sportveranstaltungen, wie man sie aus der Zeit "vor den Einschränkungen" kannte.
Doch was wäre, wenn wir uns anders entschieden hätten? Ein Nicht-Start unsererseits verliehe dem Pulk der dann verbliebenen 378 Angemeldeten definitiv mehr Qualität! Doch würde ein Wechsel in den Zuschauerbereich, diesen nun auch (nach dem Will-Rogers-Phänomen) wenigstens ein wenig sportlich aufwerten? Ich denke schon, denn immerhin drei "lange (Trainings-)Läufe" gab es in diesem Jahr für uns - den letzten davon vor sechs Wochen. Diese 52 Kilometer mit 1.060 Höhenmetern waren zwar noch durch eine Erfrischung im Greifenbachstauweiher halbiert und mit jeder Menge Wanderflair auf dem Rückweg kräfteschonend entschleunigt - immerhin besser als nichts! Danach schickten wir (mit einer Jahreslaufleistung von nur 397 Kilometern) unsere Laufschuhe in ihre Sommerferien, um nun die Früchte dieses Wellnesskurses zu ernten und eben nicht nur hinter der Bande die Statisten zu mimen.
Skihang hoch ... / ... Skihang 'runter
Diesen passiven Teilnehmern am Südthüringentrail will ich nun natürlich nicht generell ihre Sportlichkeit absprechen, mußte jedoch diesbezüglich während des Wettkampfes einige Richtigstellungen loswerden: zwei völlig ausgelaugte Wanderer im arg bemitleidenswerten Zustand bei einem Laufwettbewerb mit "Das sieht super aus! Weiter so!" zu motivieren, ist grenzwertig. Da ist dann doch etwas mehr Ehrlichkeit gefragt. Zur Not könnte man sich auch mal kurz wegdrehen, um dieses Elend nicht sehen zu müssen. Sicherlich sind diese Notlügen gut gemeint, werden jedoch, trotz Sauerstoffmangel im Oberstübchen, schnell als Heuchelei interpretiert. Klare Anweisungen, wie man sie von früher kannte (und welche heute sicherlich auf dem Korrektheitsindex zu stehen scheinen), kämen da besser zur Geltung: der Klassiker "Quäl' dich, du Sau!", den Udo Bölts einst beim Radeln in den Vogesen erfand und auch im Laufsport beheimatet ist. Eventuell fehlt auch der dezente Hinweis, daß selbst ein schlechter Lauf besser als gar kein Lauf ist? Genau dieser Ansporn fehlt uns beiden heute. So siechen wir von Anfang bis Ende über den Kurs und müssen froh sein, überhaupt noch von der Zeitmessung erfaßt worden zu sein.
Kilometer 29: Schneekopf / Kilometer 54 und 58: Doppel-VP Steinsburg
Am Vorabend holen wir uns im Simson-Park die Startunterlagen und beziehen, wie vor einem Jahr mit Steffen unser Quartier am Stadtrand von Suhl. Die folgende Nacht ist nicht übermäßig erholsam - bis zu unserer Abfahrt gegen 4 Uhr finden in der Herberge noch diverse Tischtennisturniere, verbesserungswürdige Gesangseinlagen und das nachts gern gehörte große Möbelrücken statt. Ein bizarres Rahmenprogramm, bei dem man schnell seinen katastrophalen Trainingszustand vergißt, weil man sich über diese Nachtaktivitäten echauffiert.
Das vom Veranstalter angebotene Frühstück im Unterstand der Gepäckaufbewahrung lasse ich mir diesmal nicht entgehen. Es wird schließlich bei unserem Wettkampfergebnis mit einem langen Tag gerechnet und da sollte nicht an der Grundversorgung gespart werden. Der Start ins Rennen, ist wie im Vorjahr, "fließend", das heißt, es zählt nur die Nettozeit und nicht die Reihenfolge des Zieleinlaufes. Wir überqueren eine Minute nach dem Startschuß die Zeitmeßmatte und stehen nach ein paar Metern, an der ersten Streckenverengung, schon wieder. Dies wiederholt sich beim Einfädeln in den ersten Anstieg und so ist nach 12:35 Minuten der erste Kilometer abgehakt. Auch wenn (bekanntlicherweise) auf diesem ersten Kilometer das Rennen nicht entschieden wird, ist er doch Sinnbild unseres heutigen Bewegungsablaufes: Stop-and-go, fragende Blicke und keinen Plan, wie es weitergeht (entweder gar nicht mehr oder wenigstens stockend?).
Perfekte Laufbedingungen / Perfekte Ausschilderung
Während Steffen schnell die Flucht nach vorn gelingt, verweilen Ute und ich im hinteren Teil des Feldes. Mittlerweile erfreuen wir uns des einsetzenden Regens, der die anfängliche Schwüle etwas mildert. Wir werden zwar deshalb nicht schneller, aber die Tortur fällt uns leichter. Ein permanentes Höhenmetersammeln durch das anfangs erwähnte, steile Auf und Ab steht bevor - ausgehend von rund 400 Metern Seehöhe steigern wir uns bis an die 1.000-Meter-Grenze: über Domberg (675 m), Döllberg (760 m), Beerberg (808 m), Großer Erleshügel (839 m), Fichtenkopf (944 m) zum Schneekopf (978 m), dessen Turmbesteigung (nicht im Wettkampf inbergriffen!) die Tausendermarke (bei Kilometer 29) knacken würde. Aber auch ohne diesen Zusatz wird für uns die Luft zunehmend dünner. Die Schutzhütte am Adler mit angeschlossenem VP (Bergfest bei Kilometer 32,5) verlassen wir nach fünfeinhalb Stunden. Wir haben also für den zweiten Teil einen rechnerischen Puffer von einer Stunde (bei einem Zeitlimit von zwölf Stunden), was in unserem Zustand kein Ruhepolster darstellt.
SÜDTHÜRINGENTRAIL, wo Wichtel, Riesen und Helden zu Legenden werden!
Nach siebeneinhalb Stunden erreichen wir den Rundendurchlauf. Utes Blicken zu urteilen, könnten wir hier und jetzt den Sack werfen. Dann würden wir als "Riesen" (für 47,5 km mit 1.932 Hm+) gewertet und könnten für den Rest des Tages am Bordstein stehen und klatschen, wenn die "Helden" ins Ziel einbiegen. Sicherlich wäre dies die angenehmere Art der Gestaltung eines Sonnabendnachmittags. Doch wer hier untrainiert am Start erscheint und somit dem Wettkampf nicht den nötigen Respekt zollt, soll dafür auch mal etwas Schmerz verspüren! Also brechen wir nach kurzer Rast wieder auf, denn es wird ein zeitraubender zweiter Abschnitt werden.
Die "Wichtelrunde" ist mit ihren 17,4 Kilometern und 559 Höhenmetern nicht zu unterschätzen. Dabei warten drei Anstiege auf die schon geschundenen Waden - anfangs zum alten jüdischen Friedhof und dann zweimal zur Steinsburg, wo beide Male eine Verpflegung wartet. Fast die komplette Runde spielt sich bei Ute und mir im Wanderschritt ab - auch bergab. Ob wir überholt werden, ist uns egal. Nur für die letzten Meter zum Ziel geben wir uns nochmal einen Ruck und heben die Füße. Nach 10:49:28 Stunden finden wir uns auf den Plätzen 215 (165. Mann, 49. Altersklasse) und 216 (51. Frau, 10. Altersklasse) wieder - von 299 Startern beenden 243 die 64,9 Kilometer.
Utensilien für Helden / Startnummer für Helden
Zum vierten Mal empfangen wir im Ziel unsere Utensilien, die uns als "Helden" ausweisen. Wie Helden fühlen wir uns (wie die vorangegangenen drei Jahre) nicht! Für mich war es der 50. Ultralauf mit Ergebnislisteneintrag - kein Grund zum Feiern, eher zum Überdenken der künftigen Vorgehensweise bei der Vorbereitung auf diese Art der Wettkampfform. Vielleicht schwelge ich auch nur weiter in schönen Erinnerungen beim Betrachten meiner bisherigen Ultralauf-Vita:
Nr. | Jahr | Wettkampf | Distanz | Vertikale | Zeit | |
1 | 2009 | Swiss Alpine K78 | 78 km | 2.260 Hm+ | 7:56:37 h | |
2 | 2010 | Rennsteiglauf | 72,7 km | 1.470 Hm+ | 6:32:55 h | |
3 | 2010 | Trail Verbier-St. Bernard | 110,5 km | 6.904 Hm+ | 19:39:14 h | |
4 | 2011 | Rennsteiglauf | 72,7 km | 1.470 Hm+ | 6:49:58 h | |
5 | 2011 | Zugspitz-Ultratrail | 101 km | 5.474 Hm+ | 15:58:02 h | |
6 | 2011 | Ultra-Trail du Mont Blanc | 170 km | 9.741 Hm+ | 42:30:54 h | |
7 | 2012 | Trail de Paris | 80 km | 1.518 Hm+ | 8:45:25 h | |
8 | 2012 | Rennsteiglauf | 72,7 km | 1.470 Hm+ | 6:34:41 h | |
9 | 2012 | 24-Stundenlauf Reichenbach | 181,622 km | 756 Hm+ | 24:00:00 h | |
10 | 2012 | Trail Ticino | 93,1 km | 7.315 Hm+ | 23:47:22 h | |
11 | 2012 | Allgäu Panorama Ultratrail | 69 km | 2.973 Hm+ | 8:54:09 h | |
12 | 2012 | Tor des Geants | 332 km | 23.775 Hm+ | 137:06:00 h | |
13 | 2013 | Rennsteiglauf | 72,7 km | 1.470 Hm+ | 6:45:30 h | |
14 | 2013 | 24-Stundenlauf Reichenbach | 165,441 km | 689 Hm+ | 24:00:00 h | |
15 | 2013 | Trail Ticino | 133 km | 9.797 Hm+ | 37:56:26 h | |
16 | 2013 | Ultra-Trail du Mont Blanc | 167,7 km | 9.618 Hm+ | 42:54:55 h | |
17 | 2014 | Jurasteig Nonstop Ultratrail | 230 km | 6.997 Hm+ | 48:15:00 h | |
18 | 2014 | Rennsteiglauf | 72,7 km | 1.470 Hm+ | 7:25:53 h | |
19 | 2014 | Fichtelberg Ultra | 54,8 km | 1.598 Hm+ | 5:24:08 h | |
20 | 2014 | 24-Stundenlauf Reichenbach | 182,559 km | 761 Hm+ | 24:00:00 h | |
21 | 2014 | Swiss Alpine K78 | 79 km | 2.660 Hm+ | 9:49:42 h | |
22 | 2014 | Ottonenlauf | 69 km | 500 Hm+ | 8:15:35 h | |
23 | 2014 | La Petite Trotte a Leon | 294,3 km | 26.557 Hm+ | 140:37:33 h | |
24 | 2015 | Rennsteiglauf | 72,7 km | 1.817 Hm+ | 7:55:39 h | |
25 | 2015 | 48-Stundenlauf Gols | 309,000 km | 309 Hm+ | 48:00:00 h | |
26 | 2015 | 24-Stundenlauf Reichenbach | 163,550 km | 679 Hm+ | 24:00:00 h | |
27 | 2015 | Sur les Traces des Ducs de Savoie | 119 km | 7.260 Hm+ | 27:28:27 h | |
28 | 2016 | L'Integrale des Seigneurs | 135 km (76+59) | 4.300 Hm+ | 17:06:51 h | |
29 | 2016 | 24-Stundenlauf Basel | 201,308 km | 180 Hm+ | 24:00:00 h | |
30 | 2016 | Rennsteiglauf | 72,7 km | 1.817 Hm+ | 8:57:19 h | |
31 | 2016 | 24-Stundenlauf Reichenbach | 70,935 km | 296 Hm+ | 24:00:00 h | |
32 | 2016 | Südtirol Ultra Skyrace | 121 km | 7.554 Hm+ | 34:23:42 h | |
33 | 2016 | La Petite Trotte a Leon | 299,5 km | 25.010 Hm+ | 145:28:53 h | |
34 | 2017 | Jurasteig Nonstop Ultratrail | 170 km | 5.639 Hm+ | 31:44:00 h | |
35 | 2017 | Rennsteiglauf | 73,5 km | 1.867 Hm+ | 8:27:33 h | |
36 | 2017 | Gran Trail Courmayeur | 105 km | 7.000 Hm+ | 26:56:39 h | |
37 | 2017 | 24-Stundenlauf Gotha | 106,496 km | 312 Hm+ | 24:00:00 h | |
38 | 2018 | Jurasteig Nonstop Ultratrail | 239 km | 7.515 Hm+ | 50:11:00 h | |
39 | 2018 | Rennsteiglauf | 73,9 km | 1.867 Hm+ | 8:52:13 h | |
40 | 2018 | 24-Stundenlauf Reichenbach | 143,600 km | 598 Hm+ | 24:00:00 h | |
41 | 2018 | Südthüringentrail | 64,9 km | 2.491 Hm+ | 9:33:43 h | |
42 | 2019 | Pommel2K | 46 km | 2.300 Hm+ | 7:10:00 h | |
43 | 2019 | Rennsteiglauf | 73,9 km | 1.867 Hm+ | 8:44:15 h | |
44 | 2019 | 24-Stundenlauf Reichenbach | 154,379 km | 642 Hm+ | 24:00:00 h | |
45 | 2019 | Thüringen-Ultra | 100 km | 2.150 Hm+ | 12:34:03 h | |
46 | 2019 | Südthüringentrail | 64,9 km | 2.491 Hm+ | 9:52:32 h | |
47 | 2020 | Pommel2K | 46 km | 2.300 Hm+ | 6:44:00 h | |
48 | 2020 | Pommel2K | 46 km | 2.300 Hm+ | 6:55:00 h | |
49 | 2020 | Südthüringentrail | 64,9 km | 2.491 Hm+ | 9:56:38 h | |
50 | 2021 | Südthüringentrail | 64,9 km | 2.491 Hm+ | 10:49:28 h |
Aus der obigen Auflistung kann man auch recht gut entnehmen, daß in Suhl bisher nur "Wanderdiplome" für (Ute und) mich abfielen, weil wir den Wettkampfcharakter der Veranstaltung bisher "verweigerten". Vielleicht straffen wir uns ja mal, vielleicht "genießen" wir aber den Südthüringentrail auch weiterhin im Sparmodus, was die Vorbereitung darauf und den Wettkampf selbst betrifft - wohlwissend, daß im organisatorischen Bereich und im Anspruch an die Streckenführung keine halben Sachen gemacht werden.