29.07.2016 | 20:00 Uhr | 121 km | 7.554 Hm+ | 7.538 Hm- |
Der letzte Zweitausender der Runde: die "Stoanernen Mandln" (2.001 m) bei Kilometer 102.
Klappe, die Zweite: Die Wiederholung des 2015 von uns nicht beendeten "Südtirol Ultra Skyrace" steht auf dem Programm. Damals sorgten ein schweres Gewitter und starker Niederschlag in Form von Regen und Hagel für ein frühzeitiges Ende an der Alpler Alm (2.094 m) bei Kilometer 75. Der schwierigste Teil der Strecke stand uns allerdings noch bevor. Dies stellten wir auf "Exkursionen" am Dienstag und Donnerstag fest, als wir die restlichen Kilometer inspizierten. ...
Am Sonntagmorgen des 31. Juli 2016 schieben sich zwei menschenähnliche Gestalten, bepackt mit einem Rucksack und einer größeren Tüte, den anderthalb Kilometer langen Jenesiener Weg von Bozen nach St. Georgen hinauf. Ihr Gang ist sehr beschwerlich und verläuft auf der sehr steilen und engen Straße meist im Zickzack oder gar rückwärts. Glücklicherweise sieht sie dabei niemand, denn diese rund 300 Höhenmeter vom Ziel auf den Talferwiesen zum Quartier auf dem Messnerhof sind für sie anstrengender als der vorangegangene "Wochenendausflug" auf der Hufeisentour durch die Sarntaler Alpen. Erschwerend kommt noch hinzu, daß beide nur drei Stunden später wieder im Zielbereich zu erscheinen haben, denn eine der beiden Personen ist siegerehrungsberechtigt, obwohl die andere Person sie während der Tour mehrfach davor gewarnt hat, diese eventuell eintretende Situation heraufzubeschwören. Doch sie verfallen deswegen nicht in Streit oder gar gegenseitigen Schuldzuweisungen - nein, sie setzen weiterhin stoisch einen Fuß vor den anderen (auch wenn der Abstand meist nur wenige Zentimeter beträgt) und ab und zu unterbricht wirres Gerede diese Monotonie.
Begonnen hat alles vor einem Jahr, als wir völlig niedergeschlagen aus Südtirol abreisen mußten. Seit dem wartet der "Rucksack Südtirol Ultra Skyrace" geduldig auf seine Abholung durch Ute und mich. Sicherlich ist das vom Veranstalter unterbreitete Angebot von 40 Stunden Verweildauer auf der Sarntaler Hufeisentour sehr großzügig, wenn man bedenkt, daß der dreimalige Sieger Alexander Rabensteiner dafür nicht einmal die Hälfte der Zeit zum Ablaufen benötigte. Die doch recht niedrige Finisherquote spricht jedoch eine andere Sprache. Teils ist die (für normale Mitteleuropäer mit vollständig erschlossenem Wohnumfeld) recht fordernde Streckenführung ein Grund für ein Scheitern an diesem Projekt, aber auch die Gewitterneigung im Gebiet um den Hirzer (2.781 m) und deren Einfluß auf den Rennverlauf ist dabei mit in eine Beurteilung der Schwierigkeit des Laufes einzubeziehen. Für die ersten Läufer im Klassement ist diese "Bedrohung" durch das Ungemach vom Himmel eher unwahrscheinlich, da sie längst das westliche Gebiet der Strecke passiert haben, wenn die abendlichen Gewitter aufziehen. Für unser Gelingen muß der Wettergott mitspielen und wir dürfen uns zur kräfteraubenden Tortur des "längsten und anspruchsvollsten Rennens in Südtirol" keine zusätzlichen Schwächen leisten. Um mental gut vorbereitet in die uns noch fehlende Schlußetappe gehen zu können, verschaffen wir uns in den drei Tagen vor dem Start einen Überblick auf das Bevorstehende.
Am Dienstag kurz vor 6 Uhr nimmt uns der Quartierwirt mit dem Auto nach Bozen mit. Von dort gönnen wir uns den Linienbus nach Sarnthein und weiter nach Weißenbach. (1.335 m). Auf einer insgesamt 37 Kilometer mit 2.195 Höhenmetern umfassenden Tour laufen wir die Strecke von der Kuhbergalm (1.494 m) über Ebersbergalm (1.785 m), Alpler Nieder (2.624 m), Hirzerhütte (1.983 m), Obere Scharte (2.698 m) mit Gipfelbesuch auf dem Hirzer (welcher nicht mit im Streckenplan auftaucht), Kratzbergsee (2.120 m) zur Meraner Hütte (1.960 m) ab. Von dort steigen wir über das Öttenbacher Tal nach Sarnthein (961 m) hinab. Dabei erhalten wir, wie schon erwartet, am Nachmittag den obligatorischen Starkregen-mit-Gewitter-Vorgeschmack auf's Wochenende. Am Donnerstag wird der Schlußakkord von unserer Herberge in St. Georgen (593 m) über Jenesien (1.089 m), den Salten (1.445 m) mit (außerplanmäßigem) Abstecher zum 400jährigen Bergahorn am Tomanegger (1.328 m), Schermoos (1.453 m), Möltner Kaser (1.806 m) und die Stoarnernen Mandl (2.001 m) zum Auener Joch (1.924 m) in entgegengesetzter Richtung zur Wettkampfstrecke abgearbeitet. Zum Bus nach Sarnthein nehmen wir diesmal den Anstieg des 69-Kilometer-Skyrace in umgekehrter Richtung. Das wir die 30-Kilometer-Tour mit 1.630 Höhenmetern nicht trocken überstehen, haben wir dabei schon erwartet. Allerdings bewährte sich an beiden Tagen der erst am Montag gekaufte und sehr leichte "Dynafit Vertical"-Berglaufschuh, auch wenn dieser bestimmt nicht für längere Distanzen gemacht ist, wird er sich wohl auf die komplette Hufeisentour freuen können.
Bozen | Kurz vor Mitternacht auf dem Rittner Horn |
Die Nacht vor dem Wettkampf verkürzen wir uns durch eine Weinverkostung der Messnerhof-Produkte mit Michaela und Alex vom Team Fuchseck. Sie sind am Nachmittag in St. Georgen angereist und da sie auch zur großen Sarntal-Runde aufbrechen werden, gibt es natürlich eine Menge zu erzählen. Am nächsten Morgen holen wir die Starterbeutel, welche reichlich gefüllt sind, auf den Talferwiesen ab. Der Nachmittag ist mit dem Bestücken der Läuferbeutel für das Ziel und das "läuferische Bergfest" Penser Joch vertan. Eine reichliche Stunde Zeit bleibt uns danach noch, um etwas zu dösen - an Schlaf ist nun nicht mehr zu denken. Gegen 17:45 Uhr machen wir uns zu viert auf den Weg hinab nach Bozen, denn ab 18:30 Uhr findet im Zielgelände das (verpflichtende) "Briefing" statt. Zuvor kann man noch seinen Essensgutschein gegen eine Portion Makkaroni eintauschen. Ab 19 Uhr öffnet die Rucksackkontrolle am Einlaß zum Startgarten auf dem Walterplatz im Stadtkern (264 m). Dabei wird jedes Pflichtausrüstungsteil einzeln verlangt, da kennen die Veranstalter keinen Spaß! Also, Rucksack auf den Tisch und alles muß raus: Regenjacke, lange Hose, Überlebensdecke, Signalpfeife, Telefon mit gespeicherter Notfallnummer, Trinkbecher, Getränkeflaschen, Nahrungsvorrat, Handschuhe, Mütze, langes Unterhemd, sterile Kompresse, Verband, Pflaster, Dreieckstuch, Streckenplan und zwei funktionierende Stirnlampen mit Ersatzbatterien. Dabei wird nur meine dünne Mütze moniert. Zum Glück habe ich noch eine Art Stirnband mit, welches den Kontrolleur besänftigt und er mich demzufolge den Innenraum betreten lässt.
Fast eine dreiviertel Stunde haben wir nun noch zu überbrücken. Der Sprecher Sepp Platter macht dies mit dem Vorstellen der Favoriten und dem ständigen Verweis auf einen neuen Streckenrekord. Bisher gab es bei den drei Auflagen des Laufes stets die selben Sieger: Alexander Rabensteiner bei den Männern und Annemarie Gross bei den Frauen. Letztgenannte nimmt diesmal den neu ins Leben gerufenen "Sky Marathon" mit 2.863 Höhenmetern unter die Füße und Streckenrekordler Rabensteiner ist diesmal auch nicht auf der großen Runde am Start. Es wird also definitiv neue Namen in den Siegerlisten geben.
Pünktlich auf die Sekunde erfolgt 20 Uhr der Start. Das macht natürlich die Rechnerei auf der Uhr (welche ich nur im normalen Uhrzeitmodus laufen lasse) wesentlich einfacher. Die Straßen sind gut gefüllt mit Zuschauern - das hatte sich der Veranstalter durch die Verschiebung der Startzeit um zwei Stunden auch so vorgestellt. Mir ist das eigentlich egal, weil ich den Vorteil der Zeitverschiebung in erster Linie im Erreichen unseres Zieles sehe. Es wird nämlich wieder Gewitter geben, zwar erst am Sonntagmittag - so die offizielle Lesart - aber das ist mit Vorsicht zu genießen. Die Gewitter kommen doch meist am späten Nachmittag, so wie im letzten Jahr, und da war für uns aufgrund der "unüberwindbaren Barriere" Alpler Nieder dann Schluß. Nun sind wir eventuell zwei Stunden eher dort und haben vielleicht auch noch etwas Zeit herausgelaufen - dann könnte es klappen und wir haben den "Kulminationspunkt" Obere Scharte hinter uns und können das "Kompott", in Form von leichter Streckenkost regelrecht genießen, denn dann sind die Zeitlimits großzügiger und die Strecke wesentlich einfacher.
Jetzt gilt es aber erstmal den nervigen Anstieg nach Oberbozen zu nehmen. Asphalt und enge Wege wechseln sich hierbei ab, ständig bergauf und das permanente Geklapper der Stöcke im Ohr. Wir haben zwar auch unsere Leki-Stäbe mit, sie schlummern aber noch im Rucksack und sind wirklich nur für den Notfall gedacht. Bei unseren Streckenbegehungen konnten wir auch komplett auf sie verzichten und kamen dadurch vielleicht sogar "schneller" voran. Heute habe ich auch mein Buch für die Hüttenstempel nicht mit dabei. Dieses Zeremon beansprucht ja auch immer Zeit, vor allem, wenn die Hütte etwas abseits vom Verpflegungspunkt liegt und dann gar keinen Stempel hat. Heute müssen wir "wettkampfmäßiger" denken, damit wir die wetterbedingte "deadline" an der Westflanke der Sarntaler Alpen vielleicht umgehen können. Nach 6,5 Kilometern ist der erste Getränkepunkt im Ortskern von Oberbozen (1.254 m) erreicht. Nun heißt es, schnell die mitgeführten Flaschen wieder zu füllen und am Stand selbst noch etwas nachzutanken - dazu Melone und ein wenig Schokolade und weiter geht die Reise. Vorbei an begeisterten Kindern, welche ihre Hände dem Läufer zum Abklatschen entgegenhalten, geht es nun allmählich in die Einsamkeit. Die Häuser am Rand werden weniger und bald sind wir im Wald verschwunden. Es ist auch nicht mehr so steil, wie zu Beginn, sondern führt auch mal wieder leicht nach unten. Damit erhöht sich der Schnitt und im Schein der Stirnlampen kommen wir wirklich gut voran. Vereinzelt säumen noch Ortschaften den Weg: Riggermoos (1.320 m), Tann (1.488 m), Pemmern (1.538 m) und das Gasthaus Unterhorn (2.044 m). Mittlerweile hat auch Nebel die Sicht versperrt und so weisen Leuchten die letzten Meter zum Rittner Horn (2.260 m). Es ist 23:44 Uhr als wir die Zeitmeßmatte überqueren - mit einer Zwischenzeit von 3:43 Stunden für die ersten 19 Kilometer mit 2.080 positiven Höhenmetern sind wir genau eine Minute schneller als im Vorjahr. Darauf lässt sich aufbauen und darauf natürlich erstmal ein Bier! Es gibt aber auch leckere, warme Eiersuppe, welche bei der aufziehenden Kälte schon gut tut. Für die nächste Etappe werden daher auch die Armlinge übergestreift - zehn Minuten Aufenthalt und es geht wieder hinab.
Der nächste Verpflegungspunkt ist nun rund elf Kilometer entfernt und liegt am Totenkirchl. Zuerst nimmt die Route sanfte Wiesenabschnitte, ehe es im Zickzack hinauf zur Sarner Scharte (2.460 m) geht, dort warten zwei Mann zum Notieren der vorbeikommenden Startnummern. Auf dem darauffolgenden Streckenstück zum Villandersberg (2.509 m) zieht wieder Nebel auf. Jetzt wird es schwierig die (sonst sehr gute) Markierung des Weges zu finden. Im Abstieg zum Totensee (2.208 m) muß ich Ute allerdings zwingen, etwas zu essen. Sie wird immer schwächer, also muß sie sich ein Cola-Gel reinwürgen. In dieser kurzen Pause müssen auch die zwei Läufer, welche sich die gesamte Wegsucherei in unserem Nebelschatten ersparten, notgedrungen die Führung übernehmen. Doch schon die ersten Meter gehen bei ihnen in die falsche Richtung, also rufe ich sie zurück und übernehme wieder die Führungsarbeit unseres Quartetts. Am Totenkirchl (2.186 m) stehen ein paar jüngere Zuschauer am Rande des Versorgungszeltes. Bei einer guten Flasche Wein verbringen sie dort den Abend oder die Nacht. Neben den üblichen Getränken steht noch eine einzige Flasche Bier auf dem Tresen des Ausschanks. Als ich sie mir "erfrage", bekomme ich zur Antwort, daß sie dem lustigsten der drei Jugendlichen gehört und ich ihn fragen solle. Ich verneine, da er so schön irgendwelche Sauflieder zum besten gibt und sicherlich noch seinen Nachschub dafür benötigt. Er wiederum ist da ganz anderer Meinung. Natürlich solle ich das Bier trinken! Er umarmt mich dabei und als Ute auch noch einen Schluck nimmt, ist er völlig losgelöst und hebt Ute in die Höhe. So habe ich lange nicht mehr gelacht! Wir sehen uns im Ziel, meint er noch beim finalen Handschlag. Für ihn sicherlich die schwierigere Aufgabe als für uns.
Auf dem Totenrücken (2.221 m) ist nun die Sicht (im Gegensatz zum Vorjahr) frei. Die Wegfindung ist einfach und der endlose Holzzaun führt zum Prackfiedererjöchl (2.060 m). Es folgt der breite, langgezogene Bogen auf einer Forststraße und darauf ein paar Querfeldeinstücke und schon passieren wir die Stöfflhütte (2.057 m). Dort wartet (zu unserer Überraschung) unser Freund und Bierspender von eben mit ein paar anderen Leuten auf das noch übrige Teilnehmerfeld. Er erkennt uns aber (aufgrund seiner Seh-und Stehschwäche) erst im letzten Moment.
Nach einem weiteren leichteren Abschnitt gelangen wir zum Kesselbild (2.342 m), von dort sieht man schon (im Dunkel der Nacht) die beleuchtete Schutzhütte am Latzfonser Kreuz (2.311 m), dem höchstgelegenen Wallfahrtsort Europas. Eine Senke ist nun noch zu durchqueren, ehe man den nächsten Verpflegungspunkt erreicht. Der Abstieg ist anfangs beschwerlich und die Zeit sitzt uns plötzlich im Nacken, denn 2015 waren wir nach achteinhalb Stunden über die dortige Zeitmeßmatte gelaufen. Das scheinen wir diesmal nicht zu schaffen. Der einfache Anstieg hält dann doch noch eine Zwischenzeit von 8:31 Stunden bereit und wir liegen im somit im Soll. Damit es auch reibungslos weitergehen kann, muß Ute etwas essen. Ihr Magen sträubt sich schon wieder, feste Nahrung aufzunehmen, aber nur mit Trinken wird es für die Dauer des Wettkampfes nicht funktionieren. Also achte ich darauf, daß sie ihr Stück Linzer Torte auch restlos aufißt. Ich habe da weniger Probleme und kann das Angebot auch richtig genießen. Erst kurz vor 5 Uhr ziehen wir weiter, da sich eine Toilettennutzung in der Berghütte regelrecht aufdrängte.
Bestzeiten werden woanders gelaufen - hier gibt es nur anspruchsvolles Geläuf |
Es wird so langsam hell und es folgt ein Abschnitt mit nur leichten Höhenunterschieden auf rund elf Kilometern des Durnholzer Höhenweges. Der Großteil der zu überwindenden knapp 700 Höhenmeter ist dabei erst am Schluß der Etappe hinauf zum Tellerjoch (2.520 m) und zur Flaggerscharte (2.436 m) zu bezwingen. Im Vorjahr haben wir uns bei der (hier heimischen) Konkurrenz das perfekte Vorankommen auf Geröll und Blockgelände abgeguckt. Heute versuchen wir dies möglichst praxisnah zu kopieren. Das geht am besten ohne Stöcke! Man muß sich dabei nur auf zwei Punkte am Boden konzentrieren - die beiden Füße. Stöcke könnten sich beim schnellen Vorwärtsbewegen zwischen Gesteinsblöcken verklemmen und so den Laufrhythmus stören. Bei einem Sturz hat man auch beide Hände frei, wenn man nicht gerade in einer den Fotoapparat hält. Noch gibt es keine Fotomotive, da alles in dicken grauen Wolken hängt, aber das ändert sich noch. Mit dem Erreichen der Flaggerschartenhütte (2.481 m) sind 50 Kilometer geschafft. Wir gönnen uns eine Viertelstunde Pause für ein wenig warme Suppe, Melone oder Cola.
Bis zum Penser Joch sind hier viereinhalb Stunden auf dem Wegweiser veranschlagt. Im Vorjahr haben wir dafür zweidreiviertel Stunden benötigt. Es ist 8:10 Uhr als wir zur Hörtlaner Scharte (2.646 m) aufbrechen. Der Weg ist nicht einfach und zusätzlich mit Seilen gesichert. Auf dem Astener Höhenweg steigen wir bis auf 2.000 Meter wieder hinab. In der Ferne können wir dabei schon das Penser Tal erkennen, an dessen Ende die große Verpflegungsstation zum "Bergfest" auf uns wartet. Der Gegenanstieg zum Niedereck (2.304 m) führt direkt zum nächsten Kontrollposten. "Wie geht es euch?", ist dabei stets die erste Frage an die Ankommenden. "Beschissen!", sage ich mit einem Lächeln. "Nicht mehr weit und es gibt Bier.", meint daraufhin mein Gegenüber und hat damit bei mir noch einmal eine (zwar nicht unbedingt benötigte, aber passende) Motivationsspritze gesetzt. Der teilweise ausgesetzte Pfad ermöglicht nun Tiefblicke ins Eggertal zur rechten und ins Penser Tal zur linken. Der Astenberg (2.367 m) bildet die letzte Erhebung vor der langen Abfahrt Richtung Penser Joch (2.211 m). Es ist 10:36 Uhr, als wir von der Zeitmessung erfasst werden - 14:36 Stunden haben wir nun auf der Uhr stehen, im Vorjahr waren es genau 15 Stunden. Wir liegen also im Plus, wollen uns trotzdem "kurz" fassen. Das versprochene Bier und eine wohlschmeckende Suppe, dazu ein paar Plätzchen Schokolade und ein Stück Melone reichen um den Magen zu beruhigen. Die freundlichen Helfer bringen jedem seinen, auf den Talferwiesen abgegebenen Beutel mit den persönlichen Wechselsachen an seinen Platz. Ich werde mir nur ein frisches Schweißband daraus entnehmen und die Socken wechseln. Es wird keinen Schuhwechsel geben, da ich mit dem "Dynafit" recht gut harmoniere. Es ist auch noch keine Blasenbildung an den Füßen in Sicht. Das liegt sicherlich auch an der "Wund- und Heilsalbe für Kleinkinder", welche wir diesmal (als Alternative zum Hirschtalk) an unseren Problemstellen verwendeten. Auch diesen "Trick" schauten wir uns von Einheimischen ab - damals beim PTL, als wir in der Ruitor-Hütte mit großflächiger Blasenbildung zu kämpfen hatten, weil die Füße in einem dauernassen Zustand mit allerlei Steinchen in den Schuhen gefangen waren. Die anwesenden Franzosen jedoch ihre babyhautglatten Füße präsentierten und mit solcher Creme nachsalbten. Ich verzichte heute jedoch auf eine Neubeschichtung und reibe mir nur den Dreck von den Füßen, bevor ich in die neuen, zweilagigen Socken schlüpfe.
Um 11 Uhr brechen wir wieder auf. Wir werden über die stark frequentierte Paßstraße geführt und sind kurz darauf dem Trubel vom Penser Joch entflohen. Ein weiter Bogen auf einem Höhenweg bringt uns zum Gröller Joch (2.557 m). Dort kommen uns Wanderer entgegen, die uns als Leipziger (vom Dialekt her) einordnen und die mich auf 34 Jahre schätzen. Beides falsch, aber letztere Vermutung lasse ich gern so stehen. Durch Geröll schlängeln sich nun die Markierungen (von Weg oder Pfad kann keine Rede sein) wieder steil nach unten. Durch das Oberbergtal, mal in vielen Serpentinen, mal gerade über eine Kuhweide, am Ende wieder steil auf einer Betonstraße, gelangen wir zur Kuhbergalm (1.494 m). Dort waren wir 2015 nach 18:35 Stunden Wettkampfzeit registriert. Diesmal sind wir schon eine Stunde eher hier - es ist 13:29 Uhr und somit stehen 17:29 Stunden zu Buche. Die folgende Strecke sind wir ja erst am Dienstag abgelaufen und somit ist uns die Forststraße hinauf zur Ebenbergalm (1.780 m) noch bestens bekannt. Vor vier Tagen sind wir hier noch im Laufschritt hoch, heute ist es nur ein ganz flotter Wanderschritt. An der Alm gibt es neben der üblichen Kost auch Schinkenstreifen und Frittatensuppe - abgerundet wird dieser Schmaus mit einem Bier oder Kaffee. Wir bedanken uns für die Verköstigung und 15 Uhr brechen wir wieder auf. Mit drei Stunden müssen wir bis zur Hirzerhütte rechnen, so der abschließende Tenor.
Gerölljoch | Bergwacht am Alpler Nieder |
Auf zur Alpleralm (2.094 m) - dem letzten Punkt unserer vorjährigen Unternehmung! Dort hingen wir 2015 fast vier Stunden wegen eines Unwetters fest und mußten danach unsere Hoffnung auf eine Zielankunft begraben. Mit der Bergrettung und anderen Läufern fuhren wir zurück zur Ebenbergalm. Dort klang der Abend für alle Beteiligten recht zünftig im Gastraum aus, ehe es für uns verbliebenen fünf Läufer im Kleinbus gen Bozen ging. Heute ist die Alm im Kessel von Grubenkopf, Alplerspitz und Schafberg unbesetzt, nur der Wagen des Bergrettungsdienstes wartet davor. Wir nehmen den Bogen über die sanft ansteigende Wiese, der obere Teil zum Alpler Nieder (2.624 m) ist jedoch recht steinig und steil. Oben stehen die Jungs von der Bergwacht, welche vor einem Jahr auch ihren Einsatz am Alpler hatten. Sie erinnern sich auch an uns, denn wir hatten ihnen versprochen, wieder zu kommen, um die Runde zu beenden. Wir unterhalten uns noch ein wenig mit ihnen und erfahren dabei, das das (für Sonntagmittag prognostizierte) Gewitter eher kommen wird. Noch deutet nichts darauf hin und so nehmen wir recht unbeschwert den Pfad, der die steile Wiesenwand der Pfandlspitz quert. Über Grubenjoch (2.433 m) und Grünangerjoch (2.496 m) geht es hinab ins Rotmoos. Hierbei laufen wir im Sog des Südtirolers Roman Altstätter mit. Er ist flott unterwegs und wir nehmen dieses Tempo gerne an. Auf dem Almenweg wird der Gampen gequert und der Abstieg zur Hirzerhütte (1.983 m) schließt sich an.
Wir überlaufen 17:50 Uhr die Zeitmessung und begeben uns an die Getränkeausgabe. Leider hat man hier keinen Kaffee parat, den ich jetzt dringend benötigen würde. Mittlerweile dirigiert die Müdigkeit meinen Bewegungsablauf und da ich kaum Kaffee trinke, weiß ich, daß dieser in solchen Situationen Wirkung zeigt. Als Ersatzdroge wird mir daraufhin Cola angeboten - drei große Becher müssen fürs Erste helfen, dazu ein Bier zum Nachspülen, damit der Magen sich etwas beruhigt, denn soviel Cola vertrage ich normalerweise auch wieder nicht. Wenn meine Hochrechnung jetzt richtig liegt, müßte Ute Rang 5 der Frauenwertung belegen. Am Penser Joch war sie auf Platz 6, aber dort war alles noch so eng beieinander - die Plätze 4 (Brigitte Frackwieser) und 5 (Sandra Press) standen dort ebenso am VP, wie Platz 7 (Margit Hirtzy). Im Anstieg zum Alpler Nieder konnten wir einen Platz gutmachen und nun geht es mit Sandra Press auf dem Gebirgsjägersteig zum höchsten Punkt der Strecke. Wir unterhalten uns anfangs noch mit ihr, aber sie will "bummeln" und so wird unser Vorsprung immer größer. Rund zwei Kilometer mit etwas mehr als 700 Höhenmetern stehen auf der Agenta. Internes Ziel: zwei Stunden. Die letzten Meter zur Oberen Scharte (2.698 m) verlaufen in schmalen Rinnen und über kleinere Felswände und verpflichten somit auch mal wieder zum Zupacken. Nach anderthalb Stunden begrüßen uns zwei freundliche Herrn der Bergrettung am Grat. Wir quatschen auch mit ihnen kurz und einer der beiden macht noch ein "Gipfel"bild von uns - also vom Gipfel der Tour, das vom Gipfel des benachbarten Hirzer (2.781 m) haben wir schon am Dienstag gemacht! Wir wünschen beiden noch einen "ereignisarmen" Feierabend, irgendwann - und steigen ins Tal ab.
Unterhalb der Oberen Scharte - dem höchsten Punkt der Runde |
Wir müssen uns trotzdem beeilen, da wir noch so viel wie möglich Strecke im Hellen absolvieren wollen. Dabei machen wir gleich auf den ersten Hochplateau zwei weitere Plätze gut. Nun geht es hinüber zum Kratzbergersee (2.120 m), endlos schlängelt sich der Pfad um die Ausläufer der Berge und irgendwo dazwischen erscheint das 90-Kilometer-Schild. Noch habe ich keine anderen Probleme und während wir uns die Stirnlampen aufsetzen, frage ich Ute, ob sie noch weiß, wo das 65er Schild stand. Richtig, am Oberberg im Abstieg vom Gröller Joch zur Kuhbergalm. Jetzt mal schnell die gesamte Strecke revuepassieren lassen und mit der Distanz des 25-km-Stauseelaufes in Oberrabenstein verglichen. Fazit: der Stauseelauf ist nicht nur (logischerweise) zeitlich kürzer - nein, auch die Strecke ist hier wesentlich länger! Hilft alles nichts, wir kennen ja den Rest der Strecke und da ist es egal, wie lang ein 5-Kilometer-Abschnitt ist. Mitten in diese Überlegungen beginnt es 21:15 Uhr zu regnen. Nicht so schlimm, also Regenjacken über den Rucksack und weiter. Doch der Niederschlag wird plötzlich intensiver und Hagel mischt sich in das Naß. Wir entscheiden uns, auch die Regenhosen noch überzustreifen - eine punktgenaue Entscheidung! Kaum sind die Beine in den Hosen verschwunden, kübelt es regelrecht und ein Gewitter setzt ein. Es ist genau über uns. Ständig schlägt es irgendwo ein und erhellt das umliegende Gelände. Manche Blitzeinschläge sind weit weg und so fühlen wir uns in Sicherheit, aber weit gefehlt, der nächste oder übernächste schlägt wieder in unserer Nähe ein. Obwohl es bis zum Missensteiner Joch (2.128 m) nicht mehr weit ist, kauern wir uns zusammen an den Wegrand und beobachten das Schauspiel am Himmel. Oberhalb des Jochs sehen wir zwei Stirnlampen talwärts hasten, wie sich später herausstellen wird, sind dies die Streckenposten. Die Warterei wird zur Ewigkeit.
Irgendwann kommen Ulf Biermann und der Schweizer Erwin Thür vorbei. Wir schließen uns den beiden an und erreichen das "Informationszelt" (ein Drei-Mann-Zelt der Streckenposten) am Missensteiner Joch. "Links hoch der Markierung folgend, noch eine Stunde bis zur Meraner Hütte", heißt es kurz und bündig. "Die Hütte liegt doch aber rechts unten im Tal, man sieht sie ja schon". Das wären dann rund 20 Minuten, würden aber auch ein Aufgeben und Ausscheiden bedeuten. Währenddessen schlagen weiter fleißig die Blitze um uns ein und ich hatte die Verhaltensregeln bei Gewitter irgendwie anders in Erinnerung. Jetzt wird uns zusätzlich zum Verhängnis, daß wir diesen Abschnitt am Dienstag bei Tageslicht abgelaufen sind und so nicht nochmal die Streckenbeschreibung zu Rate zogen. Somit haben wir die Hütte (übrigens auch bei Starkregen) direkt angelaufen und die Originalstrecke verlassen. Es kommt also noch ein Stück "Neuland" für uns dazu - und das bei den lebensgefährlichen Bedingungen. Wir laufen jedenfalls Ulf und Erwin hinterher, wie die Lemminge auf ihrem letzten Marsch. Irgendwann ist mir das ganze zuwider und meine Humorgrenze erreicht. Wir laufen auf einem Weg nach oben, neben im Boden steckenden Metallstangen, dazu hat jeder seine Leki-Blitzableiter und ein geladenes Mobiltelefon dabei - die Chance nicht vom Blitz getroffen zu werden, ist verhältnismäßig gering. Ein Felsblock am Wegesrand bedeutet unser Aus. Das Russische Roulette findet erstmal ohne uns statt. Wir klemmen uns an den Felsen, da zusätzlich ein straffer, kalter Wind weht. In der Zwischenzeit ziehen ungefähr 15 weitere Läufer an unserem Versteck vorbei, zwei von ihnen wählen dabei unsere "Angsthasenmethode". Sie sind völlig durchweicht und frieren. Eine lange Hose als Pflichtausrüstungsteil ist ja nicht schlecht, eine Regenhose ist aber besser. Auch wenn wir mittlerweile wie die Schoßhündchen zittern, ist unser langer Regenschutz wesentlich effektiver. Ab und zu haben wir das Gefühl, das Gewitter verzieht sich und wir können bald unseren Wettkampf fortsetzen, aber immer wenn wir auf dem Sprung sind, schlägt es in unmittelbarer Nähe wieder ein. Es ist vielleicht eine halbe Stunde vergangen, da tauchen zwei Bergrettungsleute an unserem Lager auf. Noch zehn Minuten bergauf, da ist eine Hütte, dort könnten wir uns aufwärmen und warten, raten sie uns. Wir rennen, was das Zeug hält - die Hütte ist in Sichtweite, die Kräfte lassen nach und dann müssen wir noch über die Terrasse in den Gastraum. Das wäre ja nicht so schlimm, wenn diese nicht komplett mit Riffelblech verkleidet wäre.
Es ist die Kesselberghütte (2.300 m), die uns Unterschlupf gewährt. Die Hüttenwirtsleute machen sogar Tee für die durchgefrorenen Läufer. Ich habe allerdings genug mit mir zu tun und ziehe mir mein langes, trockenes Unterhemd an - dauert ca. nur fünf Minuten, weil alles andere klamm und naß ist. Auch Ute ist total durchgefroren und glücklich, sich jetzt erstmal sammeln zu können. Ich kann es immer noch nicht verstehen, wie man bei Gewitter eine "Ehrenrunde" auf eine Anhöhe laufen muß. Warum muß ich ein Dreieckstuch im Rucksack mitführen, wenn ich Grundverhaltensregeln in Gefahrensituationen grob mißachte? Diese Frage schwirrt mir noch lang im Kopf herum. Ist ein "Death befor DNF" (in Anspielung auf die martialische T-Shirt-Botschaft) wirklich die bessere Entscheidung, wenn ich (z.B. auf Arbeit oder im Verein) weiterhin im Gespräch bleiben will? Den sportlichen Wert hat diese Veranstaltung für mich urplötzlich verloren. Bis zum Kratzbergersee war alles in Ordnung: freundliche, zuvorkommende Helfer, eine 1-A-Streckenmarkierung, auch die Verpflegung war völlig ausreichend und mit einem Male habe ich gar keine Lust mehr, weiter zu machen.
Es geht aber weiter! Das Unwetter verzieht sich - es war übrigens das schwerste Gewitter seit fünf Jahren mit immerhin 7.500 registrierten Blitzen in ganz Südtirol. Ulf und Erwin bilden nun die Vorhut, Ute, Sandra, ich und Tobias Scherschmidt folgen. Gemeinsam nehmen wir die Runde um den Kleinen Mittager (2.305 m). Über die Mittager Hütte (2.260 m) gelangen wir endlich irgendwie im Dunkel der Nacht zur Meraner Hütte (1.960 m). Dort liegt die Zeitmeßmatte hinter dem Zelt und erst als ein "Mitarbeiter"registriert, daß wir noch keine Zwischenzeit haben, werden wir in Gänsereihe drübergeführt. Es ist neun Minuten nach Mitternacht, trotz unserer Zwangspause haben wir den Vorsprung aufs Zeitlimit (5 Uhr) weiter ausgebaut. Ich finde hier aber keine Bindung zu Wettkampf und dem ganzen Drumherum. Zu aufgewühlt bin ich noch von den Ereignissen am Missensteiner Joch. Ich nehme mir aus einem Kasten eine Flasche Bier und noch zwei Schokoladenwaffeln - das wars. Meine Trinkflaschen lasse ich unaufgefüllt, da sie noch gut zur Hälfte voll sind. Insgesamt werde ich auf der Runde rund 17 Liter Flüssigkeit zu mir nehmen - Wasser, Cola, Iso, Tee, Bier und Kaffee. Nur jetzt habe ich gerade gar keinen Draht dafür, mich ausreichend mit Wasser zu versorgen.
Auch Ute haben die Ereignisse mächtig zugesetzt. Sie muß ihre Stöcke nehmen, da ihr die Kraft fehlt. Auf dem Weg zum Kreuzjöchl (1.984 m) muß sie sich übergeben. Danach läuft es wieder besser. Wir ziehen weiter auf dem Haflinger Höhenweg, vorbei an Maiser Rast (2.027 m), Kreuzjoch (2.086 m) und dem Auener Jöchl (1.924 m) hinauf zur Hohen Reisch, den Stoanernen Mandlen (2.001 m), einer Ansammlung von unzähligen Steinmännchen. Geradewegs über eine Wiese und einen Waldabschnitt gelangen wir zum Möltner Kaser (1.806 m). Dort gibt es den erhofften Kaffee gegen die Müdigkeit und Brot mit Schinken. Einen Apfel als Wegzehrung nehme ich mir beim Verlassen des Gebäudes noch mit und mit Sandra und Tobias biegen wir auf die leicht fallende Forststraße. Hier haben wir am Donnerstag Katrin und Christoph Mehnert aus Bautzen getroffen, als wir und sie die Strecke begutachteten. Sie haben sich diesmal für das Südtirol Skyrace (69 km mit 3.930 Hm+) entschieden und sind schon längst mit ihrer "Aufgabe" durch. Christoph wird dabei Gesamt-15. und 6. der Altersklasse!
Irgendwo auf dem weiteren Weg nach Schermoos passiert es dann, im Tran des ewigen Geradeaus verpassen wir einen Abzweig und erst drei entgegenkommende Italiener erinnern uns an die fehlende Streckenmarkierung. Nun geht es also wieder zurück und im Schein der Stirnlampen suchen wir die Leuchtpunkte im Gelände. Wir werden fündig und nehmen die Verfolgung auf der richtigen Strecke wieder auf. Am Getränkepunkt in Schermoos (1.453 m) trinken wir je einen Becher Cola und machen uns unverzüglich auf den weiteren Weg nach Langfenn (1.527 m).
Jenesien | Bozen - noch offiziell ein Kilometer |
Zur Zeit liegt Ute auf Platz 3, da wir (trotz unseres Verläufers) genügend Vorsprung auf Platz 4 herausgelaufen haben und das die (stets auf Rang 3 liegende) Französin Stephanie Labruguiere an der Meraner Hütte raus ist, war nicht zu übersehen. Wir haben also einen gewissen Druck, was die Plazierung angeht. Blöd nur, das Ute erst im Ziel von ihrem 3. Rang erfahren wird. Ich dachte, sie weiß es und habe das Thema deshalb nicht unnütz angesprochen. Es ist überhaupt recht wortkarg zwischen uns geworden. Wir wollen nur noch fertig werden - alles andere nervt nur noch. Der ewig lange Weg über den Salten (1.467 m) ist uns bestens bekannt. Dann geht es hinab nach Jenesien (1.089 m), den letzten Verpflegungspunkt auf der Strecke. Wir sind 5:31 Uhr nach 33:31 Stunden an der Kirche im Ortskern angekommen. Hunger oder Durst haben wir nicht. Eine Flasche Cola und zwei Bananen bekomme ich noch vom netten Herrn in die Hand gedrückt, während Ute sich mit der Frau vom Stand ins Gespräch vertieft. Erst als vier weitere Läufer im Anmarsch auf den VP sind, löst sie sich von ihrer Gesprächspartnerin und wir düsen im Laufschritt durch den Ort. Ein Bogen um die Bebauungen von Seilbahn und Schwimmbad läßt uns im Wald verschwinden. Jetzt wird es steil - steil bergab im Dusteren, aber die Stirnlampen brauchen wir nicht mehr, da sie sowieso an Strahlkraft verloren haben und wir für deren sinnvollen Einsatz erst die Batterien wechseln müßten. Auch meine Stöcke, die ich exklusiv für diesen Abschnitt mit auf den Kurs genommen habe, bleiben im Rucksack. Nun auch nicht mehr! Die Beine schmerzen mit und ohne Stockeinsatz, also mach ich die Runde ohne meine "Gehhilfen" komplett. Auf halber Höhe ziehen wir uns noch die Regenhosen von den Beinen, da sie mittlerweile an der Haut kleben und unangenehm scheuern. An der Schloßruine Rafenstein (690 m) überholen wir noch einen Japaner, der die Gefällestrecke im Spazierschritt nimmt. Es kommt das langersehnte 120-Kilometer-Schild und kurz darauf sind wir an der Talstation der Jenesiener Seilbahn - geschafft! Nur noch flach (und vielleicht noch einen Kilometer) auf dem Radweg Richtung Talferwiesen und wir sind durch. Rund 150 Meter vor uns machen wir Ulf und Erwin aus, wir wollen sie aber nicht mehr einholen - denn das gehört sich nicht. Wir traben ihr Tempo in gebührenden Abstand hinterher und nach den Stadionanlagen des Bozener FC biegen wir über den Talfer. Noch ein 50-Meter-Halbbogen und wir sind im Ziel! Nach 34 Stunden und 23 Minuten passieren wir 6:23 Uhr gemeinsam das Zieltor. Es gibt eine massive Medaille um den Hals und das Lob des Sprechers Sepp Platter. Ute erfährt sichtlich gerührt von ihrem 3. Platz und wird wohl oder übel zur Siegerehrung erscheinen müssen.
Jetzt lassen wir erstmal die Beine baumeln. Das Zielbier kommt dabei frisch aus dem Zapfhahn und aller Ärger über das Gewitter und seine Folgen ist verflogen. Wir beobachten die weiteren Zieleinläufe und quatschen noch mit anderen Teilnehmern und den Organisatoren. Gegen 8 Uhr müssen wir uns dann aus dem Zielbereich verabschieden. Der schwerste Teil steht uns nun bevor: erst gemächlich auf der Wettkampfstrecke zurück und dann die anderthalb Kilometer mit 300 Höhenmetern hoch nach St. Georgen.
Letzte Zielankunft: Greco Domenico - 39:22:20,2 h | Ute's 3. Platz bringt 250 Euro für die Reisekasse |
Der Erholungsschlaf ist nur kurz. Den (motorisierten) Transfer hinab nach Bozen übernehmen Michaela und Alex. Beide waren am Zeitlimit am Penser Joch gescheitert und deshalb wesentlich eher als wir im Quartier. Um die Siegerehrung auch nicht zu verpassen, muß Ute sogar noch einen Zwischensprint einlegen, denn pünktlich 11 Uhr beginnt diese. Da erst 12 Uhr Zielschluß ist, wird dem letzten Zielankömmling ein besonderes Finish geboten. Die Ehrungen werden für ihn unterbrochen und er läuft unter dem Applaus der Anwesenden seine letzten Meter "um den Block". Danach wird er auf die Bühne gelotst und bekommt dort seine Medaille und sein Finisher-Shirt überreicht.
Nachdem Ute ihre Preise (ein Funktionshemd, eine große Dose Isopulver, eine Tube Fußgel, zwei Päckchen Nudeln und 250 Euro in bar) von der Gesamt- und Altersklassenehrung eingetütet hat, machen wir uns im strömenden Regen (vorbei an entwurzelten Bäumen und heruntergerissenen Kronenteilen im Park an den Talferwiesen) Richtung Innenstadt auf. Dort steht in einer Pizzeria die Wettkampfauswertung mit Michaela und Alex an. Schließlich habe ich während des Wettkampfes 16.301 Kilokalorien verbraucht, welche es jetzt behutsam wieder auszugleichen gilt. Der Nachmittag wird dann komplett verschlafen und weil wir auch am nächsten Tag noch träge sind, wird noch ein Tag zur Erholung auf dem Messnerhof 'rangehängt.
Das Südtirol Ultra Skyrace ist schon einer der härtesten Läufe im Alpenraum, da zur physischen und psychischen Belastung stets auch noch die unberechenbaren Wetterkapriolen erschwerend hinzukommen. Das "Finisher-Leiberl" ist nicht irgendein "Leiberl"! Das muß man sich hier richtig hart erarbeiten! So der passende kurze Kommentar von Seiten der Organisation. Dafür wird man aber an jeder Verpflegungsstelle und jedem Kontrollposten freundlich und hilfsbereit begrüßt und umsorgt. Und die Landschaft im Alpenraum muß ich hier nun weiß Gott nicht noch schönreden ...
... weitere Informationen unter www.suedtirol-ultraskyrace.it
Ergebnis Südtirol Ultra Skyrace:
Männer: 60 von 139 im Ziel | ||||
1. | Jung, Daniel | Naturns - Südtirol | 1. M18-39 | 17:34:37,1 h |
2. | Kienzl, Peter | Hafling - Südtirol | 1. M40-49 | 19:15:41,8 h |
3. | De Salvador, Marco | Bozen - Südtirol | 2. M18-39 | 20:50:45,9 h |
3. | Illmer, Lorenz | Partschings - Südtirol | 2. M40-49 | 20:50:45,9 h |
5. | Slanzi Gamper, Marc | Laives - Südtirol | 3. M18-39 | 21:51:33,0 h |
6. | Ambrosini, Luca | Latsch - Südtirol | 4. M18-39 | 22:11:16,5 h |
47. | Delling, Thomas | LV Limbach 2000 | 22. M40-49 | 34:23:41,2 h |
Frauen: 4 von 12 im Ziel | ||||
1. | Senfter, Irene | Lana - Südtirol | 1. W40-54 | 23:56:10,5 h |
2. | Mitchell, Birgit | Innsbruck - AUT | 2. W40-54 | 33:28:24,8 h |
3. | Herfurt, Ute | LV Limbach 2000 | 3. W40-54 | 34:23:40,4 h |
4. | Press, Sandra | Krailling | 4. W40-54 | 35:09:40,2 h |