02.07.2017 | 11:00 Uhr | 3,06 km | 1.024 Hm+ | 10 Hm- | (Trainingslauf) |
"Wenn sie einmal hier sind …" - ein Satzbeginn, der einem auf Arbeit stets Schweißperlen, aufgrund des zu erwartenden Mehraufwandes, ins Gesicht drückt, findet auch im Urlaub seine ganz spezielle Anwendung. Das heißt: wenn man also schon mal auf der Durchreise in der Nähe von Chamonix ein Quartier hat, kann man sich ja auch noch einmal an der Wiederholung des 2014 durchgeführten Trainingslaufes über 1.000 (vertikale) Meter versuchen. Da spielen dann Fitnesszustand und Bergtauglichkeit keine Rolle - das Vor-Ort-sein zählt und sonst nichts!
Vor den Toren Chamonix’, in Les Praz, ankert also der Fünf-Personen-Urlaubstrupp nach der Nachtfahrt über knapp 950 Kilometer. Der Tag wird mit den üblichen Einkaufs- und Besichtigungsritualen vertan, um am Folgetag die erste Akklimatisierungstour zu starten. Dabei soll von Le Tour (1.453 m) die Berghütte Albert 1er (2.702 m) angesteuert werden - für die Normalbürger der Reisegruppe als Wanderung über Charamillon (1.850 m), für den Unbelehrbaren als "schnelle" Einheit mittels des "Kilometre vertical" bis rund 220 Höhenmeter unterhalb der Hütte.
Das Wetter ist für das Unternehmen Bergtour eher bescheiden - die Wolken hängen knapp über 1.500 Meter und die Luftfeuchte ist bei rund 10°C recht hoch. Zum Rekordversuch beim Tausender sind diese Bedingungen natürlich optimal - Bestzeitenwetter! Die angenehme Kühle sorgt für eine leistungsfördernde Betriebstemperatur und die Sichteinschränkung "verhüllt" die noch bevorstehenden Anstrengungen. Zudem beflügelt mich Ute auch stets noch mit der Motivationsvorgabe, die Zeit von damals sowieso nicht zu erreichen, da meine derzeitigen Voraussetzungen nicht ansatzweise stimmen würden. Diesen unliebsamen Nebengeräuschen kann und darf ich jedoch keine Bedeutung schenken. Ich werde es ihr schon zeigen!
Die Inspiration zu diesem Teil des "Animationsprogramms für nichtausgelastete Bergurlauber" entnahm ich 2014 dem "Trail Endusance Mag". Darin war mir der ziemlich direkte Weg von der Seilbahn-Talstation in Le Tour (1.470 m) zur Weggablung (2.484 m) unterhalb des Glacier du Tour als Vertikaler Kilometer schmackhaft gemacht worden. Mit Stöcken (als Anschubhilfen), einem halben Liter Wasser (als Zielverpflegung) und einer Windjacke (als Kälteschutz) im Rucksack, stehe ich kurz vor 11 Uhr am Ausgangspunkt parat. Pünktlich setze ich dann in die sportliche Aktivität ein. Der 400-Meter-Wiesenabschnitt von Les Granges wird heute vom Bauern bearbeitet, aber der Trampelpfad durch die Grasschwaden ist deutlich erkennbar. Deutlich langsamer, als vor zwei Jahren, beginne ich den Abschnitt, da die senkrechten Sahnestücke erst wesentlich später warten und ich meine Kräfte dafür sparen möchte.
Am Eingang zum Wald sind gerade zwei wesentlich jüngere Franzosen dabei, sich für die bevorstehenden Strapazen zu rüsten. Da kommt die Jacke in den Rucksack und die Stöcke werden in Einsatzbereitschaft versetzt. Mit einem freundlichen "Bon jour" läßt man mir den Vortritt und einer der beiden klebt dann kurz darauf direkt an meinen Fersen. Wie lange werde ich diesem Druck wohl gewachsen sein? Schließlich handelt es sich bei den beiden um Bergwanderer, welche diesen Anstieg allerdings recht engagiert in Angriff nehmen. Ich kann mir also keine Auszeit im mittlerweile recht hoch (oder gar schon zu hoch) angesiedelten Pulsbereich gönnen und Schwäche zeigen.
Der Pfad ist eng und sehr direkt, nimmt kurze Serpentinen zwischen Gesteinsblöcken, eine Schuttrinne folgt und wieder schließen sich sehr steile Fels"stufen" an. Die Uhr piepst! Der Kilometer ist rum … der erste horizontale Kilometer ist rum: 14 Minuten und 11,8 Sekunden! Ein Drittel Wegstrecke, bei einem Viertel Höhe ist geschafft! Weiter geht es teils ausgesetzt und nach rund 1,7 Kilometern wird eine Erholungsphase mit einem langgezogenen Bergab ermöglicht. Der Drängler in Wanderschuhen ist längst ein paar Meter vor mir. Ich konnte diesen Psychospielchen nicht länger standhalten und ließ ihn passieren. Am Hubschrauberlandeplatz (bei Kilometer 1,9) ist er jedoch mit seinem (sportlichen) Latein am Ende und schert nach rechts aus. Als Hase war er mir allerdings recht hilfreich, nun bin ich auf mich allein gestellt. Der zweite Kilometer wird mit 27 Minuten und 53,2 Sekunden deutlich langsamer von meiner Polar erfaßt und eine erste Hochrechnung läßt den Rekordversuch ad absurdum führen.
Auf dem Grat gibt es nun keine Ausreden mehr! Flache Abschnitte: Fehlanzeige! Ein Ausruhen ist nicht mehr möglich. Die Uhr tickt gnadenlos meine 2014er Zeit (1:05:41 h) herunter und ein Ende ist nicht in Sicht. Kilometer 3 ist mit 31 Minuten und 9,3 Sekunden für einen pB-Versuch viel zu langsam, aber das Ziel (in Form des Wegweisers) ist nun sichtbar und wird von mir mit letzter Kraft angesteuert. Mit 1:14:28,7 Stunden bleibe ich knapp unter Ute’s 2014er Leistung von 1:17:56 Stunden. Trotzdem bin ich froh, die Schikane auf mich genommen zu haben. Die Zeit ist eher ein gemütliches Wandertempo, wenn man die Einheimischen hier im sportlich ambitionierten Wettstreit loslassen würde. Doch das ist wiederum nicht mein Maßstab.
Auf der Refuge Albert 1er ist später, trotz einiger kleinerer Lichtblicke, die Sicht auf den wuchtigen Gletscher versperrt/vernebelt. So bleiben nur ein paar Bilder a la Waschküche fürs Familienalbum. Der Rückweg nach Le Tour ins Tal gestaltet sich dann langwieriger als gedacht und so muß die Herberge auf der anderen Seite des Mont Blanc mittels Anruf auf eine spätere Ankunftszeit vertröstet werden - denn, der Satzanfang "Wenn sie einmal hier sind … " bedeutet nun mal unweigerlich eine Verschiebung des Zeitplanes. Auf Arbeit und eben auch im Urlaub!