26.09.2020 | 9 Uhr | 42,195 km | 580 Hm+ | 580 Hm- | Lauf ohne WK-Charakter |
"Jeder Tag ohne Bier ist ein Gesundheitsrisiko!" - dieser Ausspruch aus längst vergangener Zeit gewinnt heutzutage aufgrund eines wesentlich intensiver eingebläuten Hygieneverständnisses wieder vermehrt an Bedeutung. Im Mittelalter war das "Grundnahrungsmittel" Wasser noch unrein und sorgte mitunter für allerlei Magengrummeln und damit verbundenen Ad-hoc-Entleerungen des Darms. Diese unangenehmen Begleiterscheinungen ihres Trinkverhaltens zwangen die Leute regelrecht dazu, diese zu überdenken und gegebenenfalls neu zu definieren. So kam man letztendlich zu der Weisheit, daß Wasser erst schmeckt, wenn es in der Brauerei gewesen ist. Eine Feststellung, die meines Erachtens auch heute noch Bestand hat.
Was waren das für Zeiten, als im Frühjahr auf einmal Brauereien anfingen ihre Produktion vom geliebten Gerstensaft auf sogenannte Desinfektionsmittel umzustellen? Der Absatz von Faßbier für Wirtshäuser, Veranstaltungen und Sportstätten ging gen Null. Eine sich auftuende Marktlücke wurde nun von den Braustätten besetzt, um irgendwie heil durch die sich anbahnende Krise zu kommen. Die Talsohle scheint mit der schrittweisen Normalisierung des Alltags in den Sommermonaten durchschritten, doch der Markt schreit immer noch nach Desinfektion und Sterilität. An jeder Ecke und bei jeder Gelegenheit soll man sich heutzutage die Hände desinfizieren. Früher war so etwas verpönt und nur den medizinischen Einrichtungen vorbehalten. Eine übermäßiger Desinfektionsmittelgebrauch schädigt nun mal die Hautgesundheit durch die Zerstörung von deren Säureschutzmantel nachhaltig und macht sie letztendlich anfällig gegenüber Krankheitserregern. Zumindest macht (wie überall) die Dosis das Gift! So auch beim Bier oder Sport ... daher soll dieser Artikel keinesfalls zu einem unkontrollierten Biergetrinke animieren oder das Bestreiten eines Marathonlaufes aus der Kalten heraus gar schönreden. Eine hochkonzentrierte Kombination aus diesen beiden "Giften" (extremer Biergenuß während eines untrainiert angegangenen Marathonlaufes) wäre demnach stark gesundheitsgefährdend!
Mit Steffen und Siggi machen wir uns am späten Freitagnachmittag auf nach Franken. Unser Wochenendseminar dient dort fast ausschließlich der Weiterbildung zum Thema Bier und dessen Verankerung im täglichen Leben. Schließlich befinden sich rund 300 Brauhäuser in Franken und die Region Oberfranken wies in den 1960-er Jahren die höchste Brauereidichte der Welt auf - solide Voraussetzungen also, um den eigenen Horizont erweitern zu können. Zwei Besonderheiten sollte man dabei schon vor Antritt der Reise kennen: Das Gebraute wird in diesem Landstrich traditionell aus einem Seidla, einem Halbliter-Steinkrug getrunken und der Franke geht nicht "in den Biergarten", er geht "auf den Keller". Diese Aussage bezieht sich auf den Standort der meisten Biergärten, welche mit flachwurzelnden (und schattenspendenden) Kastanien auf den bierlagernden Felsenkellern angelegt wurden.
Damit man auch die enorme Vielfalt der fränkischen Braukunst vieler Kleinstbrauereien "erleben" kann, hat der Franke zahlreiche Brauereienwanderwege angelegt. Sie führen stilvoll durch das Gewirr von Brau- und Gasthäusern, Biergärten oder Felsenkellern. Der Fünf-Seidla-Steig in der südlichen Fränkischen Schweiz grast z.B. auf einem Rundkurs von 18 Kilometern fünf Brauereien ab. Ebenfalls in dieser Größenordnung ist der Brauereienweg um Aufseß (einem 1.400-Einwohner-Ort mit vier Brauereien und der derzeit höchsten Brauereidichte weltweit) angelegt (14 km mit vier Brauhäusern). Zu nennen wären noch der Steigerwald-Bierrundweg in Lisberg-Trabelsdorf (13 km), der Pottensteiner Biertrilogie-Weg (8,5 km), der Ahorntaler Brauereienweg (23,5 km), der Bierquellen-Wanderweg im Hummeltal (18 km), der etwas ausufernde Bier-Genuß (90 km) aber auch der kurz und knackige Forchheimer Bier-Genießer-Weg. Dieser verbindet auf nur 2,8 Kilometern Distanz vier Brauereien und den mit 23 Bierkellern angelegten "Kellerwald" - dem mit 30.000 Plätzen größten Biergarten der Welt.
Für uns sind an diesem Wochenende jedoch nur einige Abschnitte des 34 Kilometer langen 13-Brauereien-Weges relevant. Er schlängelt sich beginnend von Memmelsdorf (mit den Gasthöfen "Drei Kronen" und "Höhn") über Merkendorf (Brauereien "Hummel" und "Wagner") und Drosendorf (Brauerei "Göller") nach Meedendorf. Weiter geht es über Schammelsdorf (Brauerei "Knoblach"), Tiefenellern (Brauerei "Hönig" und Gasthof "Zur Post"), Lohndorf (Brauereien "Reh" und "Hölzlein") und Melkendorf (ehem. Brauerei "Winkler") nach Geisfeld (mit den Brauereien "Griess" und "Krug", sowie dem Biergarten "Griesskeller"), um in Roßdorf (Brauerei und Gasthof "Sauer" sowie Gasthof "Zum Felsenkeller") eine letzte Stärkung vor dem Zielort Strullendorf mitzunehmen.
Nun verlangt ja das derzeitige Hygieneverständnis mehr als nur das Nicht-Anniesen seines Gegenüber oder die zwingende Veredlung des Wassers in einer Brauerei. Nein, der Freistaat Bayern ist da recht konservativ und seinem (überaus beliebten?) Regenten ist es zu verdanken, daß da noch einiges mehr zu beachten ist. Ein Brauereienlauf mit allerhand Gaudi und mehreren kulinarischen Höhepunkten an der Strecke ist so natürlich nicht möglich. Wenn dem stets betroffen wirkenden König in dieser verzwickten Situation kein Lachen mehr möglich scheint, hat sich auch das Volk nicht zu amüsieren! Deshalb wird die für den Vorabend des Laufes ausgeschriebene "Kloß-mit-Soß-Party" auf mehrere Gaststätten im Umland vom Startort Litzendorf verteilt, um so die "Mindestabstände" zwischen den Sportlern zu wahren. Der Brauereienlauf wird tags darauf als Trainingslauf in geführten Gruppen (ohne offizielle Zeitnahme) abgehandelt und die daran anschließende große Finisher-Party komplett abgesagt. Am Sonntag wird dann die geplante Führung durch eine Brauerei mit einem Stadtrundgang durch das historische Bamberg ersetzt. Ein modifizierter Frühschoppen beendet danach die Veranstaltung vor dem Fränkischen Brauereimuseum.
Am Freitag trifft sich jedoch das Klientel, welches sich für die vom Veranstalter angebotene Trainingscamp-Variante entschieden hat, auf den Tanzwiesen von Litzendorf. Dort ist genug Platz und somit ein gefahrloses Briefing durchführbar. Für alle Teilnehmer gibt es dabei die offizielle "Brauereienlauf-Atemschutzmaske" in Form eines herkömmlichen Schlauchtuches (Buff) ausgehändigt, welches von da an als internes Erkennungszeichen fungiert. Es dient u.a. als "Türöffner" beim abendlichen Gasthausbesuch, welcher für unser Quartett im Gasthof Schiller in Wernsdorf reserviert wurde. Mit einheimischen Bieren und dem traditionellen Schäuferla (Schweineschulter mit Schwarte) wird dort eine grundsolide Wettkampfbereitschaft hergestellt.
Grau und trüb präsentiert sich der Morgen. Die letzten Hoffnungen, daß sich der Wetterbericht mal wieder nicht bewahrheitet, schwinden. Für einen Marathonlauf mit Bestzeitziel ist dieses Wetter ideal, doch wir wollen unseren sportlichen Ehrgeiz nicht mal ansatzweise fordern. Der Streckenrekord liegt bei völlig unverständlichen 2:43:27 Stunden. Wie kommt man denn bei einem Genußlauf auf so eine Idee? Wie erklärt derjenige dieses Verhalten mal seinen Kindern? Beim heutigen Lauf wäre dies sicherlich noch halbwegs erklärbar, da es bis auf eine "Bierpause" keine weiteren "Stimmungsnester" (dem offiziellen Begriff für die Verpflegungsstellen) geben wird. Doch auch das ist keine Option (für uns). Wir haben uns in der Sieben-Minuten-Gruppe eingetragen und werden nun vom Bürgermeister von Strullendorf, dem Marathonläufer Wolfgang Desel als Guide über den Parcours geleitet, welcher hauptsächlich leicht profiliert über befestigte Wald- und Wiesenwege führt.
Die Strecke nimmt dabei ein paar Windungen, um auch wirklich alle Braustätten und Gasthöfe der Umgebung mitzunehmen. In Schammelsdorf kommen wir so zu Beginn an der Brauerei Knoblach vorbei - leider ohne Verkostung des dort hergestellten Gerstensaftes. Wir traben daher weiter Richtung Hauptsmoorwald, an dessen Eingang seit rund 300 Jahren der erste markante Punkt botanischer Natur auf uns wartet: die Wenzeslaus-Eiche mit einen Stammdurchmesser von anderthalb Metern und 25 Meter Höhe. Sie ist nach dem Schutzpatron der Litzendorfer Pfarrkirche benannt.
Auch die Regnitztaler Alm (als Verpflegungspunkt) wird von uns nicht angelaufen und erst ein paar Kilometer weiter in Roßdorf am Forst pausiert. Dort befindet sich die Brauerei Sauer, welche ihre Braukunst den Teilnehmern in Steinkrügen zum Verkosten bereitstellt - natürlich unter verstärkten Hygienevorschriften, damit es keine Beschwerden gibt. Danach wird die Almrausch-Hütte, ebenso wie das Strullendorfer Gasthaus Lindenbräu sowie die Bäckerei Dresel und der Schwanenkeller links liegen gelassen. Heute ist eben nur ein Trainingslauf und die dafür benötigten Getränke sind nun mal selbst mitzuführen. Jeder von uns Vieren hat daher einen Laufrucksack mit mindestens einem halben Liter Flüssigkeit dabei. Meist handelt es sich dabei um stinknormales Wasser, welches ja erst schmeckt, wenn es in der Brauerei gewesen ist ... und davon kommen ja noch ein paar.
In Wernsdorf angekommen stoppt unser Strullendorfer Bürgermeister unerwartet am Landhotel-Gasthof Schiller den Tross. Zuerst gibt es Gläser mit Wasser - Brauwasser, nehme ich an!? Danach kommen Seidla mit Kellerbier dazu - die sinnvoll veredelte Form des Brauwassers, wie man schmeckt. Unsere weitere Tour erstreckt sich am Schloß vorbei nach Leesten. Kurz vor Geisfeld passieren wir den Griess-Keller, einen Biergarten der Griess-Brauerei etwas außerhalb des Ortes. Er wäre im Normalfall auch ein Verpflegungspunkt des Laufes gewesen, wie der Gasthof Büttel ein paar hundert Meter weiter ebenfalls. Danach wird es (auch ohne zu große Alkoholeinwirkung) etwas unübersichtlich: dem Bräuhaus Melkendorf folgt ein Abzweig zu einem Sängerehrenmal (etwas für Siggi!) und ein Kunst- und Besinnungsweg (mit Skulpturen) schließt sich dem an. Die Privatbrauerei Reh in Lohndorf hat den derzeitigen Gesundheitsvorkehrungen folgend, für uns natürlich auch geschlossen. Doch das wirft uns nicht aus der Bahn, denn mit einem sogenannten Industriebier (der Massenware einer Großbrauerei) haben wir mittlerweile der drohenden Unterhopfung (wie es mehrfach in der Gruppe kundgetan wurde) vorgebeugt.
Die Jubel-Skulptur am Wegesrand verabschiedet uns über den Ellernbach hinüber zum Landhaus Lohntal. Nach diesem Stichweg laufen wir oberhalb der Brauerei Hölzlein zurück nach Litzendorf. Für die letzten Kilometer setzt wieder etwas Regen ein, der uns jedoch tagsüber mit seiner Anwesenheit größtenteils verschonte.
Mit einer größeren Schleife um die Tanzwiesen beenden wir nach (inoffiziellen) 5:24:27 Stunden diesen Marathon. Das Start-Ziel-Gelände ist völlig verwaist - keine Zielgasse mit frenetischen Zuschauern, keine Heldenmusik, keine lautstarken Ansagen für und über die Ankommenden und keine Zielzeituhr für die man auf den letzten Metern noch einmal beschleunigt. Es ist das stinknormale Ende eines Trainingslaufes, so wie es der Gesetzgeber derzeit (auch für Wettbewerbe) vorschreibt. Dank dieser Verordnung findet sich auch ohne großes Suchen eine Bank, auf der wir uns für unser Finisher-Foto niederlassen. Umso länger gestaltet sich dafür die (telefonische) Suche nach einem Wirtshaus für den Abend. Ohne Vorbestellung läuft da nichts! Aber auch hier hilft uns unser "Türöffner" des Wochenendes. Als Teilnehmer des Brauereienlauf finden wir wiederum im Gasthaus Schiller Platz. Dort wäre es töricht, das Mahl vom Vorabend nicht zu wiederholen und so gibt es für mich die gleichen fränkischen Spezialitäten noch einmal. Eine wahrhaft vortreffliche Entscheidung! Unglaublich, fast 50 Jahre mußte mein Gaumen auf diesen Hochgenuß des Fränkischen Schäuferla warten.
Der Sonntagmorgen hält mit der Stadtführung in Bamberg einen weiteren Höhepunkt bereit. Abermals in Kleinstgruppen aufgeteilt, erleben wir einen kurzweiligen, weil sehr humorvollen Abriß zu historischen Ereignissen und regionalen Gepflogenheiten. Da wäre z.B. der Bamberger Bierkrieg vom Oktober 1907 zu erwähnen, welcher einen einwöchigen Boykott des einheimischen Bieres zur Folge hatte, weil dieses pro Seidla von elf auf zwölf Pfennig angehoben werden sollte. Nachdem man eine Woche lang billigeres Bier aus dem Umland getrunken hatte, ruderten die Bamberger Brauereien zurück und die Preiserhöhung war wieder vom Tisch. Auch das alte Bamberger Rathaus, welches der Sage nach im linken Arm der Regnitz errichtet wurde, weil der Bischof kein Land für dessen Bau abgeben wollte, ist Teil unseres geschichtlichen Streifzuges. Über die historische Altstadt mit der Neuen Residenz und ihrem Rosengarten, die Alte Hofhaltung (die filmisch auch schon für das mittelalterliche Paris herhalten mußte), den Dom mit seinem Bamberger Reiter und auch den Michaelsberg gibt es viel zu erzählen. Dies würde allerdings den sonst üblichen Rahmen zur Vorstellung einer Sportveranstaltung (Brauereienlauf) sprengen. Nur ein wichtiges Detail, welches bei der Ansprache von einheimischen Wirten oder Helfern an Verpflegungspunkten des Brauereienlaufs hilfreich ist, will ich nicht unerwähnt lassen: Das Bestellen eines Kellerbiers läßt sich im Fränkischen auf ein "a U" reduzieren - übersetzt soviel wie "Ein ungespundetes Bier, bitte!" Dieses entsteht ohne Spunddruck, also mit rechtzeitig aus dem Faß entfernten Spund (Holzzapfen an der Oberseite des Faßes) und enthält daher wenig Kohlensäure.
Zum Abschluß unseres Marathons durch die Biergeschichte Oberfrankens wird noch ein kleiner Frühschoppen vor den Toren des Brauereimuseums (welches wir danach noch besuchten) abgehalten. Es gibt Weißwurst und ein alkoholreduziertes Bier (0,9%) der Brauerei Heinzlein, welches geschmacklich einem richtigen Bier in nichts nachsteht. Ein in die Abschlußveranstaltung integrierter Vortrag des fränkischen Spitzen-Triathleten Christopher Dels zum Thema Doping beleuchtet dabei die nicht für möglich gehaltenen Auswüchse des Dopings. Ihm wurde bei seinem erfolgreichsten Ironman-Wettkämpfe als Amateur eine vorweg (wegen eines Magen-Darm-Virus') verabreichte Kochsalzlösung (ohne illegale Substanzen) zum Verhängnis und der WM-Titel in der Altersklasse aberkannt. Da hätte er sich mal lieber ein "mit Hopfen und Malz angereichertes Wasser" aus der Brauerei injiziert - das beruhigt den Magen schließlich auch.