09.10.2021 | 9:20 Uhr | 30 km | 250 Hm+ | 250 Hm- | Genußlauf |
Die Saison nähert sich dem Ende - sowohl in den Weinbergen um Meißen als auch im Laufsportzirkus 2021. Während die Winzer die Elbhänge von ihren Weintrauben leerräumen, suchen die Laufsportinteressierten Wettkampftermine im Herbst, wie die berühmte Stecknadel im Heuhaufen. Es bietet sich also an, mit dem Elbtal-Weinlauf das Wettkampfjahr 2021 zu den Akten zu legen ... im Gegensatz zum minimalen Aufwand durch den ausgedünnten Laufkalender spärlich gesäter Wettbewerbe, recht mondän mit einem zünftigen Umtrunk tatendurstiger Läuferkollegen zelebriert.
Nun ist ja der Weinlauf kein Wettkampf, sondern ein Genußlauf. Wer da jedoch an "genüßlich laufen" denkt, wird sehr schnell von der Realität enttäuscht. Es ist schon recht stressig, dabei den richtigen Mittelweg zwischen Genuß und Lauf auszuloten. Zu verlockend sind die Angebote der weit über ein Dutzend Wein-Verkostungsstellen und zu unberechenbar die Lauf-Aufgabe von 30 Kilometern. Hohe Standzeiten am Weinausschank müssen anschließend mit zügigerem Trab wieder egalisiert werden, denn bei einem zu schlechten Zeitmanagement steht man dann auch mal vor (schon) verschlossenen Ständen.
Bitte jeder nur eine Flasche Bier trinken! / Bitte nur einen Becher Wein entnehmen!
Doch wir (das sind rund 50 Personen aus der Wander- und Laufszene des Chemnitzer Umlandes) machen das hier ja nicht zum ersten Mal. Jahrelange Erfahrung mit Sport und Alkohol bringt Routine in die Sache. Jeder in unserem Sextett kennt und respektiert den minutiös aufgestellten Fahrplan für den Dreißiger. Oder sind wir dann doch nur zu Fünft unterwegs? Egal, ob fünf oder sechs - wichtig ist, daß später niemand (volltrunken) an den VP's zurückgelassen wird. Der Weinlauf ist auch ein Gemeinschaftserlebnis, wo das Ego auf das Niveau des Untrainiertesten zurückgestuft werden muß.
Auf so viel selbstverordnete Nächstenliebe gibt es nach der staubtrockenen Busfahrt nach Meißen einen sanften Einstieg in den Genußtag mit Allerweltsbier, damit die Geschmacksknospen nicht gleich am Morgen ihr volles Repertoire abrufen müssen. Sie werden schließlich heute noch gebraucht, um mehrere verschiedene Traubensäfte geschmacklich einordnen zu können.
Der Start erfolgt dieses Jahr "fließend" zwischen 9:15 und 9:45 Uhr. Die Startzeit wird am Fahrkartenstempler des Bus-Betriebshofes von Meißen entwertet und los geht es mit dem flachen Flußabschnitt auf dem Elbe-Radweg Richtung Seußlitz. Dort wechselt man für den Rückweg in die Weinberge und hat damit eine gelungene Kombination aus wackligen Beinen vom fortschreitenden Alkoholgehalt in der vom Auf und Ab malträtierten Muskulatur. Doch auf diesem Streckenabschnitt mischt man sich schon unter die Wandersleute und kann so gekonnt im Schutz der Masse auftretende läuferische Unzulänglichkeiten mühelos kaschieren.
Das Schallen der unter der Elbbrücke entfesselt agierenden Blechfaß-Trommler noch im Ohr, ist nach rund anderthalb Kilometern der erste Verpflegungspunkt in einem neuen Rekordtempo erreicht. Ein Tempomacher aus dem Orbit des Neu-Fußballzweitligisten mit erzgebirgischen Wurzeln (einst Empor Lauter, jetzt Hansa Rostock) ist für diese Fabelzeit verantwortlich. Ohne Kompromisse wählte er dabei die hohen Gänge und sog/zog so uns Genußläufer mit sich. Ein Vorgang, der in dieser Art völlig am Wesen des Weinlaufes vorbeigeht. Eine ordentliche Kopfwäsche am Weinausschank war deshalb zwingend von Nöten, um weiteres Ungemach fernzuhalten. Auch wenn die tellerflache Strecke förmlich nach Bestzeiten schreit, ist diesem unmoralischen Angebot an so einem Tag keine Beachtung zu schenken.
Doch es geht auch noch einen Zacken schärfer, was die Verletzung der Ethik des Weinlaufes betrifft. Dies ist jedoch so absurd, daß kein Teilnehmer unserer Truppe dies für möglich gehalten hätte. Erst auf zweifache Nachfrage unsererseits, legen zwei Frauen (welche in unserem Zeitfenster unterwegs sind) ein umfassendes Geständnis ab. Sie rasten an den Verpflegungsstellen nicht, oder eben nur zum Essen, da sie vor 12 Uhr keinen Alkohol trinken. Das muß man jetzt nicht gleich auf Anhieb verstehen, reiht sich aber nahtlos ein in "Ich nehme an Bergläufen teil, weil ich diese schnellen flachen Strecken mag." oder "Ich gehe gern mit meinen Kumpels zum Frühschoppen, weil dort das Tofu so lecker schmeckt." Dabei ist doch ein ordentliches Frühstück die beste Grundlage für den Tag!
Die zweite Mahlzeit, nach dem "Grundlagen-Frühstück" mit Flaschenbier am Busausstieg, gibt es nach fünf Kilometern am dritten VP. Das Kleinzadelner "Zuessenhaus" bietet dabei das gesamte Sortiment eines Fünf-Sterne-Hotel-Buffet an und sorgt somit für eine längeren Stillstand auf der Uhr und im Gebein. Nun steht mit fünf Kilometern Wegstrecke ohne Versorgung (bis Niederlommatzsch) ein echter Scharfrichter vor der Tür. Doch dieser erhoffte Weinausschank am Straßenrand ist in diesem Jahr nicht existent. Um dramatische Szenen von Meuterei und Untersäuerung im Keim zu ersticken, befassen wir uns nur recht kurz mit der neu zu bewertenden Situation und laufen einfach weiter. Noch drei Kilometer bis Seußlitz, d.h. noch drei Kilometer bis zum Wechsel in den profilierten Teil der Strecke oder eben noch drei Kilometer bis zum nächsten Nachtanken - mentale Stärke ist jetzt gefragt ...
Die Kräfte schwinden zusehend, es gibt nur noch "den Tunnel", den Fokus auf das Schlaraffenland am Einstieg der 17-km-Wanderer am Schloß. Kuchen und Wein halten uns nun (kurz) in der Aufrechten, ehe es (fast) auf allen Vieren vom Schloßpark hoch zur Heinrichsburg mit dem Einlaß in die Weinberge geht. Auch hier fehlt die Sofortbelohnung dieser Schinderei, in Form des VP's Goldkuppe. Doch solche Schikanen bereits (von wesentlich kritischerer Stelle) gewohnt, ist es nicht allzu schwer, dies zu überspielen. Danach fließen lockerer Lauf und reichlich Genuß sowie die großartige Aussicht auf das Elbtal gewohnt ineinander. Es gibt keine grundlegenden Veränderungen zum Ritt vor zwei Jahren, nur daß die Strecke zum diesjährigen 15. VP (sonst 17. VP) in Schloß Proschwitz nicht optional, sondern für alle markiert ist. Ein Laubengang führt uns zum Hauptgebäude, wo der Schloßherr persönlich die Kelche der Verkoster füllt.
Ein Gruppenbild mit dem Großteil der Businsassen auf der Rückseite des Anwesens wird für die lokale Presse festgehalten, ehe man sich zum Abschlußbankett auf dem Winkwitzer Hübel wieder zusammenfindet. Hier ist die Aussicht auf die Albrechtsburg und deren Nebengebäude im wärmenden Sonnenlicht genial. Nicht zu verachten ist auch der feilgebotene (Rot-)Wein, welcher immer und immer wieder neu am Tresen geordert wird. Während unten im Tal der Zielschluß (17 Uhr) schon längst ausgerufen wurde, wechseln am Aussichtspunkt immer noch die leckeren Rebensäfte von der Flasche ins Glas. Erst als die letzten Flaschen ausgewrungen sind und die Füllmengen im Körper Höchstwerte erzielt haben, begeben wir uns Richtung Ziel, wo wir glücklich und zufrieden im Quartett nach 8:50 Stunden eintreffen. Ein neuer Bestwert!
Zieleinlauf nach einem erfüllten Arbeitstag in den Meißener Weinbergen
Ein einstündiger Besuch des Festzeltes, welches "maßnahmenbedingt" ohne Überdachung auskommen muß, beschließt den feucht-fröhlichen Tag. Mit Bier und Jägermeister wird der Körper nun bis zum Eichstrich gefüllt und von der anschließenden Heimfahrt gibt es nur noch schemenhafte Erinnerungen. Die Erlebnisse des Tages sind jedoch fest im Kopf verankert, im Gegensatz zum Getränkeüberschuß, welcher sich später noch ächzend den Weg durch den Kopf nach draußen sucht - ein Saisonabschluß par excellence.