07.10.2023 / 9:45 Uhr / 32 km / 250 Hm+ / 250 Hm- / Genußlauf
7030 = 7x die 30 Kilometer beim Weinlauf
Es nennt sich zwar "nur" Weinlauf, dennoch ist meinerseits dafür eine enorme Sprungkraft gefragt. So wie in den Neunzigern, als Professor Brinkmann (Schwarzwaldklinik) einen Werbevertrag mit einer mittelständigen Brauerei aus dem Chemnitzer Raum einging und damit mehr als nur seinen eigenen Schatten überspringen mußte, da er als Chefarzt dem mondänen Weingenuß näher stand, als dem von ihm beworbenen Gerstensaft. So ist es (mit Zitaten) bis heute durch den Volksmund überliefert und hat sich dementsprechend in den Köpfen verfestigt. Der Autor dieses Artikels muß diese Brinkmann'sche Sprungkraft für die folgenden Zeilen notgedrungen wieder aufleben lassen, da er hier lieber über einen Bierlauf informiert hätte als sich (nun schon zum siebenten Male) auf die läuferische Erkundung der Meißener Elbhänge und deren Produktverkostung genötigt zu sehen.
Alkoholische Tests sollten stets ohne Kraftfahrzeugnutzung der jeweiligen Versuchsperson(en) stattfinden - das dürfte sich mittlerweile herumgesprochen haben! Daher steht die Chemnitzer Weinlauf-Interessengemeinschaft auch des Morgens gegen 5:30 Uhr erwartungsvoll am Gleisanschluß, welcher in Burgstädt, an der Umstiegsstelle in den Bus, für sie enden soll. Die Bahnsteig-Digitalanzeige verweist zu diesem Zeitpunkt noch auf die stündliche Frequentierung "5:40 Uhr" und "6:40 Uhr". Mit dem Verschwinden der "5:40" vom Display wird es kurz darauf etwas unübersichtlich. Haben wir den Zug etwa übersehen? Fällt der Zug aus oder kommt er nur etwas später? Gibt es eventuell Schienenersatzverkehr? Für was haben wir jetzt ein Fünfer-Ticket gelöst? Eine entsprechende Information zu unseren Fragen könnte ja über die elektronische Anzeige vermittelt werden, so wie es an der benachbarten Bushaltestelle gehandhabt wird - Fehlanzeige! Eine Antwort könnte jetzt René geben, der ein paar Kilometer vor uns in Einsiedel zusteigt (oder ebenfalls fragend wartet), doch dafür fehlt das entsprechende Kommunikationsmittel.
Es geht also wieder heim! Das auf dem Küchentisch liegende Funktelefon zeigt neun Anrufversuche unserer Einsiedler Kontaktperson an, welche ich daraufhin sofort zurückrufe: chaotischer Schienenersatzverkehr bis zur Uni, dort aber erst Weiterfahrt bis Burgstädt in der 6:40-er Bahn möglich. Da wäre die Lieferkette nach Meißen unterbrochen, denn der 7-Uhr-Anschluß ist dann weg. Zwei Fahrzeuge a drei Personen nehmen daher Kurs gen Burgstädt, um am nächsten Tag mit einem dritten Fahrzeug zurückgeholt zu werden - und das alles für ein kostengünstiges 30-Euro-Fünfer-Ticket. Im Öffentlichen Nahverkehr liegt demnach die Zukunft (wenn man das eigene Kfz dafür nutzt)!
Der Weinlaufbus der Burgstädter wird ab und zu von Chemnitzer Korbballern "mißbraucht".
Kaum ist der Ärger über die Zuverlässigkeit des ÖPNV etwas verflogen, gibt es den nächsten Nackenschlag: der Transport von Burgstädt zum Veranstaltungsort findet in einem Bus statt, in dem u.a. ein von der Basketball-Abteilung des FC Bayern nach Chemnitz ausgeliehener Dopingsünder sein Unwesen getrieben hat. Aufputschmittel in Verbindung mit Sport gehen gar nicht! Moralisches Unbehagen und Mitschuldgefühle lassen sich daher nur mit dem ersten alkoholischen Getränk zügeln. Das 11-Uhr-Bier muß aufgrund der prekären Situation zeitlich vorgezogen werden! Es handelt sich dabei um ein "Zwickel", dessen Bodensatz vor dem Genuß noch mit dem Flascheninhalt vermischt werden muß. Dabei kommt es auf die richtige Technik an, welche der Einsiedler Fachmann eindrucksvoll demonstriert. Nun müßte ich zum großen Sprung ansetzen, denn erst gegen 18:20 Uhr geht es mit dem Biergenuß weiter. Leider!
Bei unserer Ankunft in Meißen wird der Bus standesgemäß von Menschenmassen umringt. Das übliche Spielchen beginnt: Autogrammwünsche und Fotos mit Fans - denn wo "Spitzenbasketball aus Sachsen" draufsteht, ist auch "Spitzenbasketball aus Sachsen" drin! Das kostet alles Zeit, doch diese nehmen wir uns gern, als Missionare dieser Sportart im "Basketball-Niemandsland" Meißen. Ich denke, wir haben "unsere" Korbballer würdig vertreten - es macht ja auch verdammt stolz, mit deren Bus durch die Lande kutschiert zu werden. "Hallo! Aufwachen, wir sind da!", werde ich abrupt aus meinen Ausführungen gerissen. Tristesse pur beim Blick aus dem Fenster: keine Fans und fast kein Wetter!
Aquarell eines Weinlaufteilnehmers von vier anderen Weinlaufteilnehmern
Umziehen und raus an die frische Luft! Es stehen unzählige Stunden in einer Kombination aus Laufen und Saufen auf der Tagesordnung. Der obligatorische dumpfe Böllerknall schickt uns hinunter zur Elbe. Bis Diesbar-Seußlitz nutzen wir den parallel dazu angelegten Radweg und die dazugehörigen Verkostungsstellen. Jetzt müßte ich zum angekündigten Sprung über den eigenen Schatten ansetzen und die dargebotenen Weinsorten haarklein sezieren, obwohl ich gar keinen Bezug zum Wein habe und ich mich mit diesem auch nicht auf die Schnelle infizieren kann. Um es abzukürzen: Es wird getrunken und gegessen, was auf den Tisch kommt! Klare Ansage, die jetzt auch nicht so schwerfällt, in der Form umzusetzen.
Wenn man ehrlich ist, ist es an so einem Tag auch völlig egal, ob der Rebensaft nun eine Muskatnote hat oder nach Beerenobst schmeckt, ob er nach Rosen duftet oder am besten zur Soljanka passt. Die wenigsten der rund 3.000 Teilnehmer können nach der zweiten "Weinstube" das Bukett des angebotenen Saftes noch halbwegs beniemen, der Rest wird ab da nur noch grob zwischen Rot- und Weißwein, Apfelschorle oder Mineralwasser differenzieren - da bin ich mir ziemlich sicher.
Zielzeit: 8 Stunden und 25 Minuten - neuer Rekord
Doch nun (der Sprung) zum sportlichen Teil des Tages: Ein neuer persönlicher Streckenrekord (bisher 7:50 Stunden) ist im Kasten, als wir uns 18:10 Uhr, nach 8:25 Stunden, vom 19. Elbtal-Weinlauf ausstempeln. Zudem sind 44 Becher (a 4 cl) für eine Person (aus Einsiedel, Name ist dem Autor bekannt) unter fast notarieller Aufsicht verbrieft - ebenfalls rekordverdächtig. Das "anfangs nicht vorhandene" Wetter hat einen großen Anteil an dieser Neufassung der Weinlauf-Bestenlisten - bei zu viel Sonneneinstrahlung hätte es sicherlich frühzeitige Ausfälle gegeben, bei Regen wären die Standzeiten an den Weinverkostungen höchstwahrscheinlich zu kurz ausgefallen. So garantierte bestes Laufwetter (angenehme Kühle, wolkenverhangen, leichter Luftzug) die o.g. Bestwerte!
Nun ist es auch 18:20 Uhr! Ich könnte, ja müßte, jetzt wieder in die wohligen Umschreibungen zum Bier einsteigen. Doch leider haben zu viele verschiedene Weinsorten die Geschmacksknospen derart verwirrt, daß ein objektives Beurteilen des Festzeltbieres nicht glaubhaft zu vermitteln wäre. Daher gibt es auch nur einen biergefüllten Henkeltopf (oder waren es doch zwei?), der aufgrund des flackernden Lichtes im Saale gar nicht in die RAL-Skala eingestuft werden kann. Wenn dieser wichtige Einstieg in die Bierbeurteilung wegfällt, kann man sich den Rest des Zeremons getrost schenken - daher: einfach trinken und im vorgegebenen Takt der Bühnenmusikanten mitwippen.
Hauptsache, beim Weingenuß den Durchblick behalten - damit es auch mit dem Finish klappt!
Fazit: Eine gut organisierte und durch viele Helfer liebevoll umgesetzte Veranstaltung, bei der Nicht-Weinkenner auch gern mal den Bierkrug beiseitestellen, um sich anderen Geschmackswelten zu öffnen.