13.05.2023 / 6:00 Uhr / 73,9 km / 1.867 Hm+ / 1.392 Hm-
"Einmal Rennsteig, immer Rennsteig" - seit 2010 gilt dieser Knebelvertrag zwischen dem GutsMuths-Rennsteiglaufverein e.V. als Veranstalter, der Rennsteiglauf Sportmanagement & Touristik GmbH als Ausrichter sowie Ute und mir als Rennsteiglauf-Teilnehmer. Das verdammte Kleingedruckte, welches einen immer wieder unsanft in die Verpflichtung nimmt. Doch es gibt sicherlich schlechtere Bestimmungen, als einmal im Jahr in Eisenach antanzen zu müssen, um den Rennsteig in einem Ritt bis Schmiedefeld abzutippeln. Trotzdem sollte man sich der Schwere dieser Aufgabe bewußt sein und eine dementsprechende Vorbereitung darauf vorweisen können.
Nun gab es ja im Vorjahr das Fiasko meinerseits, dem sich Ute durch ihre Weitsicht als Lizenzinhaber "DOSB-Übungsleiter C" frühzeitig entzogen hatte. Wer Jahr für Jahr weniger für diese recht fordernde Strecke tut, kann nunmal keine Wunderdinge erwarten. Ute interpretierte daraufhin den Gummiparagraphen 3 des Haftungsausschlußes so, daß es keine Vertragsstrafe bei Nichtantritt gibt, wenn gesundheitliche Risiken bestehen würden. Diese sehr weise Entscheidung konnte dem Tatendrang meiner Vertragserfüllungpflicht jedoch nichts Wirkungsvolles entgegensetzen und so kam für mich, was kommen mußte. Fast unter Ausreizung des Zeitlimits (von einem halben Tag!) erreichte ich wandernd das "schönste Ziel der Welt" in Schmiedefeld. Schön war es allerdings nur, weil ich die Schmerzen einer neuen persönlichen Bestzeit "genoß", obwohl ich 4:16 Stunden davon entfernt war. Doch der Wanderschritt bei solchen Distanzen ist nun mal ziemlich zeitaufwendig und verursacht komischerweise die gleichen Schmerzen wie bei großen sportlichen Taten.
Letzte Rennsteiglauf-Vorbereitung / 42 + 8 = 50
Spätestens da war klar: das passiert dir bestimmt nicht noch einmal! Ein Jahr Zeit gibt es, sich dieser Scharte zu entledigen und sich standesgemäß auf die 50. Ausgabe des Rennsteiglaufes vorzubereiten. Über die Sommermonate muß man da das Pulver mit übermotiviertem Trainingsfleiß nicht gleich komplett verschießen und auch der Herbst ist zeitlich noch etwas verfrüht, um punktgenau den Rennsteiglauf ins Visier zu nehmen. Im neuen Jahr gibt es dann aber kein Halten mehr und im Vergleich zur Rennsteig-Vorbereitung von 2022 wird der Umfang der Laufübungen von mir vervierfacht - aus 75 werden rund 300 Kilometer. Dazu wird in der Vorwoche noch der Große Beerberg (ein 492 Meter hohes Plateau im Zschopautal, welches nur Insider kennen) bestiegen, um so (symbolisch) den höchsten Punkt des Rennsteigs (den Großen Beerberg bei Plänckners Aussicht) bezwungen zu haben. Ute und ich sind im Soll, oder vielleicht doch nicht?
Schmiedefeld 3:30 Uhr / Eisenach 5:10 Uhr
Mit gemischten Gefühlen nehmen wir unseren 13. Supermarathon in Angriff. Nach der Abholung der Startunterlagen in Eisenach beziehen wir unser Quartier auf einem Ausweichparkplatz am Rande von Schmiedefeld, treffen uns noch auf ein Getränk und eine Wurst mit anderen Mitstreitern im Zielbereich und schlummern wenig später dem Abenteuer Rennsteiglauf entgegen. Lang ist die Nacht nicht, denn 2:30 Uhr beendet der Wecker diese abrupt. Für 3:30 Uhr ist die Abfahrtszeit der Busse zum Startort nach Eisenach festgelegt, da kann man sich kein Zuspätkommen erlauben!
Vorfreude auf den Jubiläumslauf
Es ist kurz nach 5 Uhr, als wir in Eisenach abgeliefert werden. Wir haben also genügend Zeit, um leicht fröstelnd dem Start entgegenzufiebern. Der Marktplatz füllt sich zusehend und ist kurz vor 6 Uhr wesentlich voller als in den Jahren davor. Immerhin 2.193 Läufer ergießen sich nach dem sechsten Glockenschlag durch das Starttor in die Altstadt. Mit Ute habe ich mich ganz hinten im Feld (inmitten der "Rucksackklasse") positioniert und drei Minuten nach den ersten Startern löst der Chip dann auch unsere Zeitmessung aus. Überaus zäh gestaltet sich das Vorankommen in der Fußgängerzone, nach dem Nikolaitor und der Spitzkehre zum ersten Anstieg stockt es erneut und unser "Laufen" wird sich auch bis hoch zum Burschenschaftsdenkmal so fortsetzen.
Passage am Burschenschaftsdenkmal
Erst auf den folgenden Waldwegen lockert es etwas auf und nach 39 Minuten Lückengespringe ist Kilometerschild "5" passiert. Wenig später signalisiert mir meine Polar V800 (welche nur im Uhrzeit-Modus läuft) mit einem Piepton "Du hast Dein Ziel erreicht". Na klar, ich hatte sie ja jetzt wenig in Gebrauch und sie hat sich vermutlich automatisch auf einen der niedrigsten Fitnesswerte zurückgesetzt. Woher soll sie auch wissen, wo heute mein zu erreichendes Ziel steht, wenn sie monatelang nur die Schreibtischschublade von innen gesehen hat? Am Ende des Tages wird sie mir 1.061% "Tägl. Aktivität" attestieren - ein Wert (was auch immer er bedeutet) mit dem man bedenkenlos im Freundeskreis hausieren gehen kann!
Großer Inselsberg (km 25) / Rondell (km 57)
Die Wirklichkeit sieht dagegen wesentlich unangenehmer aus, da braucht man nicht einmal näher hinzuschauen. Das erkennt man schon von weitem, daß da etwas nicht ganz rundläuft. Für die Bergauf-Abschnitte, mit denen die Strecke bekannterweise in schöner Regelmäßigkeit gespickt ist, wird immer häufiger zur Entlastung der Wanderschritt gewählt. Vor allem der Schlußanstieg zum Großen Inselsberg ist zermürbend und erst nach 3:15:05 Stunden (offizieller Zeit) überqueren wir die Meßmatten am Gipfel. Nach einem Drittel zurückgelegter Wegstrecke würde das eine theoretische Zielankunft von 9:45 Stunden bedeuten. Doch das passiert wohl kaum.
VP Possenröder Kreuz (km 33,6) / Ute am Kilometer 50
Genau so kommt es auch. Das Tempo bleibt konstant im Keller und auf der Ebertswiese (der Hälfte der Strecke) nimmt die Zeitmessung eine 4:51:01 ins Protokoll auf. Durch den etwas umfangreicheren VP setzen wir erst nach 4:55 Stunden unsere Reise fort und sind so schon bei einer hochgerechneten 9:50 für Schmiedefeld. Der Marathon ist nach 5:35 Stunden auf der Uhr und die Zwei-Drittel-Marke am Kilometer 50 nach 6:40 Stunden. Nun ja, Wunschkonzerte werden auf dem Rennsteig schon mal nicht gespielt und Trainingsdefizite vom welligen Kurs schonungslos offengelegt. Mittlerweile bekämpfen die Veranstalter die Qualen der Läufer auch mit dem Ausschank von Bier an den Verpflegungspunkten. Trotzdem nähern wir uns nur in Zeitlupe Oberhof. "Gleich seid ihr da, ihr habt es gleich geschafft!", ruft uns eine entgegenkommende Frau zu. Sie meint natürlich das Erreichen des Versorgungspunktes und nicht das Ziel. Doch ihre Motivationsversuche übersetze ich für Ute in ein "Wir sind wirklich da. Am Grenzadler kann man doch mit Wertung aussteigen und erspart sich die Quälerei bis Schmiedefeld." Entsetzte Blicke und kein weiterer Kommentar sind Utes passende Antwort auf diese Entgleisung meinerseits - 88 Männer und 39 Frauen erliegen jedoch dieser Verlockung und beenden ihren Rennsteiglauf in Oberhof.
Ute Herfurt - 13x Supermarathon, Roland Winkler - 48x Supermarathon, Thomas Delling - 13x Supermarathon, Holzmichl - Rennsteigikone
Kurz vor dem Oberhofer VP Grenzadler wird eine Durchgangszeit von 7:14:55 Stunden registriert. Nun sind es noch 19,9 Kilometer bis ins Ziel und meine Beschwerden im Schienbein nehmen weiter zu. Im Vorjahr ging es mir ähnlich und ich wanderte den Rest nach Schmiedefeld. Doch heute treibt Ute und sie lässt solche Mätzchen natürlich nicht zu. Bis zur nächsten Zeitmessung an der Schmücke liegt noch der Anstieg zum Großen Beerberg, wo an Plänckners Aussicht wiederholt der private Getränkepunkt Aperol-Spritz, Prosecco, Weizen-Mix, Natur-Radler aber auch "Pfeffi" und Whiskey serviert. Eine willkommene Abwechslung im Wettkampf-Ernährungsplan eines Ausdauersportlers. Der höchste Punkt der Strecke liegt nach 62,2 Kilometern hinter uns und das Ins-Ziel-Rollen beginnt. Doch richtig Fahrt nehmen wir nicht auf, denn mein Schienbein erinnert mich permanent mit einem stechenden Schmerz an die fehlenden Trainingsumfänge.
Der Große Beerberg (km 62) und sein etwas anderer Verpflegungspunkt
Für die Zielzeitberechnung stehen zwei verschiedene Kilometrierungen am Wegesrand. Während die Halbmarathon-Kilometer stets eine optimistischere Zeit vorgaukeln, holen einen die Supermarathon-Schilder unsanft auf den Boden der Realität zurück. Von der Schmücke sind es nur noch 8,9 Kilometer und bei einem Durchlauf von 8:50:14 Stunden bleibt auch noch über eine Stunde Zeit dafür. Am VP Bierfleck bei Kilometer 69,3 kann vielleicht nur noch das (wiederum) feilgebotene Schwarze den Tag retten. Zwei Becher davon, für jedes Bein einer, und es läuft wieder. Auch wenn ich aufgrund des Nahrungsmittelüberangebotes am heutigen Tag (Vita-Cola, Köstritzer, Schleim, Wurst, Banane, Apfel) fast aus den Nähten platze, bedankt sich der Körper mit einem doch relativ schnellen Ende der letzten 4,6 Kilometer. Oder sind es die Kinder, welche (dort wo früher das "Noch 1.086 Meter"-Plakat hing) uns mit "Ihr seid gleich da und im Ziel bekommt ihr eine silberne Medaille!" anfeuerten?
Rennsteig
Nach 9:58:04 Stunden passieren wir um 16:01:22 Uhr das große "R", den neuen Zielbogen von Schmiedefeld. Die Freude hält sich dabei in Grenzen, die überreichte Medaille verschwindet gleich in der Hosentasche und erst später registriere ich die (passend zum 50. Rennsteiglauf) um 50 Minuten "verbesserte" Zielzeit zum Vorjahr. Sonst ist alles, wie gehabt: Kleiderbeutel holen, Plauschen, Duschen, Schwarzbier trinken und bis 18:30 Uhr den ankommenden Läufern applaudieren. Nur mit dem Hemd für den Zieleinlauf beim Supermarathon kann ich mich nicht so recht anfreunden. Sicherlich muß man damit beim Zurschaustellen bei Läufen oder Trainingseinheiten keine Aufmerksamkeit erregen, wenn man für dessen Erwerb fast die doppelte Zeit wie der Sieger benötigt hat. Doch gerade die knallig schweinchenrosa Farbgebung der Textilie tut dies unweigerlich. Ein schriller Farbton der im Warnwesten-Milieu seine Erfüllung findet und sicherlich dann auch in diesem Bereich Verwendung findet. Wer weiß, vielleicht ist gerade dies der Rennsteigläufer-Bonus, wenn man nach einer Kfz-Panne beim Warndreieck-Aufstellen dieses Leibchen trägt und deshalb schnellere Hilfe gewährt bekommt? Sonst sehe ich in diesem Hemd keine weitere Verwendung und es wird neben dem lilafarbenen Borna-Marathon-Shirt von 2016 und dem rosa Hemd vom 2016-er L'intégrale des Seigneurs für ewig im Schrank darben. Ärgerlich!
Letzter Zieleinlauf in Schmiedefeld um 18:25 Uhr / Moderatorenduo Petra Kühn und Siggi Weibrecht
Der Abend schließt sich dem des Vortages an. Mit Siggi und Steffen flanieren wir zwischen den Ständen der Bier- und Wurstversorgung. Für einen Besuch des Festzeltes (mittlerweile ein Festgebäude) fehlt uns der Humor. Schon während der Duscherei wurden en masse Bänke für die Feierlichkeiten aus den Umkleidekabinen abgeholt, die aber auch dort schon kaum ausreichten. Der Massenauflauf "im Zelt" ist für uns einfach nicht mehr altersgerecht und so nehmen wir wieder die Holzbank an der Zufahrt, dem letzten Marathonanstieg, in Beschlag und genießen dort unsere Getränke. Noch bevor ein kräftiger Regenschauer niedergeht, ist unser Quartier auf vier Rädern bezogen und der Rennsteiglauf somit zu den Akten gelegt.
Zieleinlauf (Foto: Sören Schramm) / Gaskocherromantik am Morgen danach
Ganz ohne Rennsteiglauf vergeht natürlich auch der Sonntag nicht. Ein Frühstück im Grünen am Morgen sowie der Besuch der Sonderausstellung im Suhler Waffenmuseum "50. GutsMuths-Rennsteiglauf - vom Abenteuer zum Massenlauf" stehen auf dem Plan, ehe es (diesmal in Suhl statt Illmenau) die traditionelle Tankstellen-Bockwurst gibt. Der Nachmittag ist danach der erneuten "Besteigung" des Großen Beerbergs (vom Oberhofer Rondell aus) vorbehalten, ehe die Heimreise angetreten wird.
Sonderausstellung zum Rennsteiglauf im Waffenmuseum in Suhl
Von insgesamt 2.193 Startern in Eisenach erreichen 2.033 das Ziel in Schmiedefeld. Ute und ich beenden zeitgleich auf den Plätzen 1.468 und 1.469 den Jubiläumslauf. Insgesamt verzeichnete der 50. Rennsteiglauf 19.630 Anmeldungen, von denen 17.079 ihren Start in den Disziplinen Supermarathon, Marathon, Halbmarathon, Wandern und Nordic Walking sowie im Junior Cross auch vollzogen - Menschenmassen, die sich nicht irren können, wenn sie Jahr für Jahr wieder ins Thüringische reisen, um an einem der größten Landschaftsläufe Europas teilzunehmen. Einer wird jedoch am 25. Mai 2024 fehlen, der die letzten 32 Jahre zusammen mit Petra Kühn für die Zuschauer und Zieleinläufer in Schmiedefeld moderierte: Siegfried Weibrecht. Er macht für Jüngere Platz, wie er nach dem letzten Zieleinläuferpaar verkündete. Eine hohe Hürde für seinen Nachfolger - aber beim Rennsteiglauf liegen die Meßlatten bekanntlicherweise generell sehr hoch, egal ob es die sportlichen Leistungen, die organisatorischen Fähigkeiten oder die familiäre Atmosphäre betrifft. "Einmal Rennsteiglauf, immer Rennsteiglauf" - Vertragsverlängerung obligatorisch!
Großer Beerberg mit Plänckners Aussicht
Ute: 13x Rennsteig = 950,7 km in 112:17:52 h (Bestzeit 7:40:02 h für 72,7 km)
Thomas: 13x Rennsteig* = 951,9 km in 107:25:53 h (Bestzeit 6:32:55 h für 72,7 km)
* ohne Halbmarathon