02.10.2021 | 6:50 Uhr | 73,9 km | 1.867 Hm+ | 1.382 Hm- |
Wer kennt sie nicht, die billigen, aber fehlerhaften Imitate von Fußballtrikots, welche meist auf Märkten im Grenzgebiet osteuropäischer Staaten oder in mediterranen Urlaubsballungsgebieten feilgeboten werden? Da animiert der niedrige Preis zum Kauf und Buchstabendreher beim Vereins- oder Spielername fallen ebenso wenig ins Gewicht, wie der "volkswirtschaftliche Schaden", der den am Existenzminimum agierenden (Sport-)Wirtschaftsunternehmen gar garstig zusetzt. Wenn man dann noch den "Erlkönig" des mit Spannung erwarteten Sondertrikots zum bevorstehenden Jubiläum xy zu früh trägt, ruft dies natürlich die Neider und Moralapostel auf den Plan. Und was in dieser Hinsicht der Profifußball kann, kann der GutsMuths-Rennsteiglauf nun auch ...
Es ist wieder einmal Rennsteiglauf. Diesmal liegt der Termin etwas später im Jahr, dafür findet er aber auf der Originalstrecke statt. Dies war im Vorjahr anders. Da gab es keine Rundum-Bespaßung im Thüringischen, sondern nur eine "Rennsteiglauf@home"-Alternative. Diese wurde damals unter Federführung von Ex-Rennsteigläufer Siggi für eine Handvoll Enthusiasten (mehr ließen die damals gütigen behördlichen Einschränkungen nicht zu!) auf die Mutter-Kind-Runde um Chemnitz gelegt. Dort ist es (fast) genau so schön, wie auf dem Original und mit offiziell 75,9 Kilometern und 1.295 Metern im Anstieg fast genau so umfangreich, wie eben der Rennsteiglauf sein sollte. Nach 11 Stunden, 46 Minuten und 54 Sekunden war dann dieser spezielle Wettbewerb auch knapp unter dem gültigen Zeitlimit von zwölf Stunden erledigt und nach Einreichung dieser Daten bei der Rennsteiglauf Sportmanagement und Touristik GmbH kam wenige Tage später das obligatorische Erinnerungspräsent, in Form eines T-Shirts, ins Haus geflattert.
Nachdem im Laufe der Jahre meine Zielzeiten in Schmiedefeld stark rückläufig waren, beschloß ich 2015 am Mittelpunkt des Rennsteiglaufes (Ebertswiese) auf Ute zu warten, um mit ihr gemeinsam den Wettkampf zu beenden. Seit dem laufen wir stets im Doppelpack die Strecke von Eisenach nach Schmiedefeld ab - im Finisher-Hemd des Vorjahres gekleidet. Demzufolge nahmen wir für den diesjährigen Rennsteig das Leibchen der 2020-er "@home"-Ausgabe aus dem Schrank, auf dem allerdings die "48" des aktuellen Laufes aufgedruckt war - gut lesbar auf dem Rücken, mit dem Zusatz "Supermarathon" plaziert.
Dreimal wurden wir während eines Überholvorganges von schnelleren Läufern auf diese Ungereimtheit angesprochen. Man meinte in unserem Dresscode das aktuelle Finisher-Shirt ausgemacht zu haben. Doch war es das wirklich? Wenn ja, wieso gibt es das bereits vor dem Lauf? Und wo wurden die Hemden angeboten - offiziell bei der Startnummernausgabe oder "unter der Hand" auf dem Polenmarkt? Bei zwei durchgeführten 48. Rennsteigläufen (2020 virtuell - 2021 original) kommt es nun mal zu Doppelungen, zumindest bei den prestigeträchtigen Hemden. Der @home-48. wird dabei nie in irgendeine Rennsteiglaufstatistiken eingehen, der heutige 48. auf dem Thüringer Höhenweg schon ...
Um uns unser Original-2021-Rennsteiglauf-Hemd zu ergattern, steht uns der Ritt auf der Original-Wettkampfstrecke von Eisenach nach Schmiedefeld bevor. So, wie wir ihn schon zehn bzw. elf Mal hinter uns gebracht haben. Neben dem Austragungsdatum hat sich auch die Startprozedur geändert. Es gibt keinen Massenstart, sondern ein blockweises Starten mit 50 Teilnehmern in anderthalb bis zwei Minuten Abstand. Beginnend mit den niedrigen Startnummern und den Anwärtern auf den Sieg legt die 48. Ausgabe um 6:30 Uhr los. Wir haben mit unseren ziemlich hohen Startnummern Startblock 5, Gasse 3 (richtigerweise der 3. Block im 5. Block) mit einer Startzeit von 6:51 Uhr zugeordnet bekommen. Der 10. und letzte Block (Gasse 2) startet dann gar erst 7:12 Uhr.
Es ist damit auch ein wesentlich besseres Vorankommen auf den ersten Kilometern garantiert. Kein Vergleich zum Gewühle durch die Einkaufsstraße oder vor dem "Laubengang" zum Burschenschaftsdenkmal. Allerdings fehlt dieses Jahr auch der ganz große Ansturm. So stehen keine zweitausend und mehr Rennsteigaspiranten in der Starterliste, sondern nur 1.352, von denen dann auch nur 968 ihr Startrecht in Anspruch nehmen und 757 von ihnen in Schmiedefeld ankommen werden.
Nun zum Stenogramm unseres Supermarathons: perfekter Start bei 12°C aus den hinteren Reihen unseres Blocks, kein kräftezehrendes Lückengespringe zu Beginn, die dunklen Stellen im Anstieg zum Burschenschaftsdenkmal von Kraftfahrzeugen bestens ausgeleuchtet, das Haar sitzt und die Beine nutzen freudig diese positiven Begleitumstände. Es dauert nicht lang und wir überholen sogar Läufer aus vorderen Blöcken - werden aber auch wenig später ordentlich von hinten eingesammelt. Normalerweise ist man nach ein paar Kilometern in seinem Leistungsumfeld angekommen und schwimmt in dieser Gruppe nur noch mit. Die Blockstarts mit unterschiedlicher Leistungsstärke in diesem Jahr mischen das Teilnehmerfeld etwas mehr durch und so bekommt man dann doch den Spiegel für seinen minimalen Trainingsumfang gnadenlos vorgehalten.
Nach rund 15 absolvierten Kilometern fordert diese Untrainiertheit ihren ersten Tribut. Das lockere Dahingetrabe wechselt erstmals und dann immer mal wieder in den Wanderschritt. Ein Rennsteiglauf ohne Vorbereitung geht nun mal nicht! So spricht der Volksmund und so kann man es in alten Ergebnisheften des Laufes und in Zeitungsberichten immer wieder nachlesen. Zitate aus der Urzeit von Gesamtleiter Bernd Will in der damaligen Bilanz zur Veranstaltung untermauern dabei die akribische Vorbereitung als Grundlage eines erfolgreichen Laufergebnisses: "Mit aller Deutlichkeit zeigte sich, daß man an solchen Läufen nur teilnehmen kann, wenn man regelmäßig trainiert und sich gründlich darauf vorbereitet." (1978) oder "Besonders wertvoll war die Tatsache, daß die Teilnehmer durch monatelanges Training meist gut vorbereitet am Start erschienen." (1977). Der zum 5. GutsMuths-Rennsteiglauf 1977 61-jährige Walter Tröger aus Greiz präzisierte dies in der Tageszeitung mit "400 Kilometer muß man schon in den Beinen haben. Jeder dessen Pensum darunter liegt, sollte die Beine vom Rennsteiglauf lassen". Auch wenn er den Zeitraum für diese zwingend notwendigen 400 Kilometer nicht erwähnte, wähnen wir uns mit je knapp 480 Kilometern seit Jahresbeginn auf der sicheren Seite.
Schon in den Anfangsjahren befasste man sich bei der Rennsteiglauf-Leitung mit der hohen körperlichen Anforderung auf die angebotenen Streckenlängen. Im Protokollband des "i. Wissenschaftlichen Kolloquium des GutsMuths-Rennsteiglaufes", welches am 29.10.1977 in Zella-Mehlis stattfand, heißt es da zu diesem Thema. "Die Überprüfung der Streckenlänge ergab, daß ca. 70 - 80 km die optimale Länge für einen solchen Lauf sind. Diese Streckenlänge führt bei entsprechender Vorbereitung zu keiner Beeinträchtigung der Gesundheit und des Leistungsvermögens. Die Länge sorgt aber dafür, daß es kaum Teilnehmer gibt, die unvorbereitet an den Start gehen. Auf der 75-km-Strecke waren es 1975 unter 10 Prozent der Teilnehmer, die nicht regelmäßig trainierten. Bei Läufern, die bereits mehrfach teilgenommen haben, geht dieser Wert sogar gegen 0. Erste Stichprobenuntersuchungen ergaben, daß sich das Leistungsvermögen der Teilnehmer am GutsMuths-Rennsteiglauf deutlich vom Leistungsvermögen der Durchschnittsmenschen, vor allem durch seinen geringen Krankenstand über das ganze Jahr gesehen, unterscheidet. Ursache dafür ist allerdings nicht der Lauf unmittelbar, sondern das regelmäßige Training in Vorbereitung auf diesen Lauf." Im Umkehrschluß an dieses wissenschaftliche Zitat, sollte Ute und mir unser "geringer Krankenstand" in den letzten Monaten einen ausreichenden Trainingsumfang attestieren. Das nehmen wir natürlich gern zur Kenntnis.
Um weiter in der Historie zu kramen, noch ein Detail zur Zwischen- oder Zielzeiterfassung. Im Jahre 1978 wurde aufgrund der gestiegenen Teilnehmerzahlen erstmalig die elektronische Datenverarbeitung zur statistischen Auswertung eingesetzt. Mittels EDVA R 300 (Elektronische Datenverarbeitungsanlage Robotron 300) und Mikrorechnersystem K 1510 wurden das Erfassen und Verarbeiten von Daten wesentlich effektiver gestaltet. Damals lösten sogenannte Lochkarten die Stempelkarten ab und die Erstellung der Ergebnislisten vereinfachte sich. Jahre später übernahmen Magnetkarten diese Arbeit und mittlerweile sind die Chips am Fuß bei solchen Großveranstaltungen nicht mehr wegzudenken. Dieser Chip von Mika-Timing registriert am 02.10.2021 nach 3:11 Stunden unser gemeinsames Passieren am Großen Inselsberg. Mit 25 Kilometern Wegstrecke ist somit das erste Drittel geschafft. Da ich seit eh und je den Rennsteig in Drittel aufteile (um Zielzeitprognosen zu erstellen), ist am 50-Kilometer-Schild (wo keine Zeitmeßmatte liegt) die Armbanduhr zur Zwischenzeiterfassung gefragt. Nach weiteren 3:11 Stunden und einem Foto für die erstmalige Altersklasse-50-Teilnahme ist nach 6:22 dieser Streckenabschnitt abgehakt ... und weil das Herfurt-Delling'sche Uhrwerk keine Ungereimtheiten duldet, wird der letzte Abschnitt dann auch in 3:11 Stunden "abgebummelt".
Sicherlich hinkt diese Art der Darstellung von Gleichmäßigkeit. Das erste Streckendrittel verweist mit Abstand die meisten positiven Höhenmeter und der dritte Abschnitt ist um 1,1 Kilometer kürzer und außerdem im Profil "stark fallend". Zudem gehen unterschiedliche Standzeiten an der reichlichen Verpflegung oder vor der besetzten Mobiltoilette in die Rechnung ein - trotzdem beschäftigen mich diese (und andere) Zahlenspielereien während des Laufes. Schließlich muß man sich ja mit irgendetwas von den zunehmenden Schmerzen im Bewegungsapparat ablenken und nur die schöne Aussicht in die Weiten des Thüringer Waldes schafft das allein nicht.
Regelrecht zäh schleppen wir uns mit fortschreitender Dauer dem Ziel entgegen. Es ist nicht so, daß wir alles wandern - wir laufen nur eben wesentlich langsamer, als in den Vorjahren. Selbst bergab oder auf der Geraden nehmen wir kaum merklich an Fahrt auf. Es ist jedoch verwunderlich, wie lang man so ein Dahinsiechen ziehen kann, es hätte ja auch nach 30 Kilometern der Ofen schon ganz aus sein können. So ist es zwar ab der Schmücke (km 64,9) kein Zielspurt, aber ein innerer Triumphzug über die gewonnene Zeit, welche man beim Nicht-Trainieren "gespart" hat. Geht doch! Oder besser gesagt, läuft doch!? Jedenfalls fallen jetzt die Kilometer-Schilder schneller als zuvor. Vielleicht aber auch nur, weil sie ab Kilometer 69 jeden Kilometerabschnitt dokumentieren und nicht wie bis zur Schmücke gehandhabt, alle 5 Kilometer?
Es ist egal, Kilometerschild bleibt Kilometerschild - unbedeutend, in welchem Abstand sie zueinander stehen ... sie leisten psychologisch wichtige Arbeit. Es ist wie mit dem Bier an den letzten Verpflegungsstellen - egal, ob hell oder dunkel ... Hauptsache, ein Vorgeschmack auf's Zielbier! Und dieses Ziel rückt immer näher und verursacht sogar etwas Wehmut. Trotzdem freue ich mich über unseren Zieleinlauf, vielleicht sogar mehr, als einige andere Male - drei Stunden und 14 Sekunden langsamer als meine Bestzeit, na und? Für den minimalen Aufwand, den wir betrieben haben, ist das schon in Ordnung. Sicherlich rechnet man sich auch in "Krisenzeiten" bessere Resultate aus, doch diese wären dann mit der Herangehensweise a la "Wir haben doch gar nicht dafür trainiert!" in Widerspruch geraten. So steht erstmals eine Zeit von über neun Stunden in unseren Rennsteiglauf-Annalen, die keine weiteren Ausreden benötigt.
94. Platz M50 (502. Mann) / 7. Platz W55 (76. Frau)
Im Ziel, 9:33:10 Stunden nach Eisenach, gibt es die Jedermann-Medaille (diesmal mit Grenzadler-Motiv) und die Gutscheingaben, wie Kloß, Bier und Suppe (mit Wortgewandtheit als zweites Bier ergaunert) und natürlich das Finisher-Shirt von 2021 mit der 48 auf dem Buckel - farblich etwas zum Vorjahresmodell abgeändert, aber durchaus mit Verwechslungspotential. Es besticht durch gute Qualität und auch der Verkaufspreis (Startnummern"entwertung") ist gleich geblieben - das heißbegehrte Plagiat für das 2022-er Finish ist jedoch noch nicht im Umlauf, zumindest nicht offiziell.
Auch wenn die Corona-Maßnahmen viel Rennsteiglauf-Atmosphäre unterdrückten, haben die Organisatoren dem ihren Einfallsreichtum entgegengesetzt und so den Teilnehmern eine rundum gelungene Veranstaltung präsentieren können. Sicherlich fehlen die Zuschauermassen im Zielbereich und das "Festzelt danach", doch dies war schon im Vorjahr nicht möglich - diesmal gab es wenigstens den Rennsteig und nicht "Virtuell II.". Ein Dank den vielen Helfern und dem Veranstalter ... und den Zuschauern, die sich (illegal oder zufällig?) an der Strecke aufhielten und so ein Stück des traditionellen Rennsteiglaufes sicherten!