25.05.2024 / 6 Uhr / 73,9 km / 1.867 Hm+ / 1.392 Hm-
Sonnenaufgang gegenüber des Burschenschaftsdenkmals
Ob man sich nun beim Rennsteiglauf an das vom Namen vorgegebene Rennen, Steigen oder Laufen hält, oder einfach nur wandert, ist relativ egal. Für ambitionslose Freizeitsportler zählt einzig das Ankommen mittels Beinkraft in Schmiedefeld, dem "schönsten Ziel der Welt". Diese edle Art des Reisens durch den Thüringer Wald ist für Ute und mich der erste Wettkampf im Jahr, da ist Lampenfieber vorprogrammiert.
Obwohl wir uns regelrecht gewissenhaft auf den diesjährigen Rennsteiglauf vorbereitet und unser Trainingspensum zu den Vorjahren straff gesteigert hatten, wurden Ute und ich das Gefühl nicht los, es bei unserem 14. Supermarathon mal so richtig zu verkacken. Während Ute im Vorfeld immer nur von zu großer Quälerei philosophierte und damit die Lust am Rennsteig flöten ginge, war ich ihr da noch einen Schritt voraus. Die zu erwartende Quälerei ist eingepreist und 'ne schlechte Zielzeit wird akzeptiert - doch was ist, wenn wir es diesmal gar nicht schaffen, Schmiedefeld zu erreichen? Solche Gedanken hatte ich bisher nie gehegt und plötzlich gewann diese Version in meinem Kopf die Oberhand. So kannte ich mich selbst nicht.
Das "schönste Ziel der Welt" erreicht man nur mit endlosem Trainingsfleiß.
Werden diese Zweifel etwa genährt, weil es in diesem Jahr nur eine Art Teilnehmerhemd gibt, welches man bei der Anmeldung dazubuchen und extra bezahlen mußte? Es nennt sich zwar Finisher-Shirt, ist aber dem Käufer, bei Nichterreichen des Ziels, schlecht wieder zu entreißen. Also bleibt das Feld für den Kauf des Hemdes bei unserer Anmeldung unangekreuzt. Zum einen sind da die Unmengen an vorhandenen Hemden dieser Art (von denen man aber auch immer nur eins tragen kann) und zum anderen ist da die stark gewöhnungsbedürftige Farbe des letztjährigen Jubiläumshemdes (welches mit seiner schweinchenrosa Optik eher als Warnweste zu gebrauchen ist). Wozu also "die Katze im Sack" kaufen? Bisher war es immer eine schöne Zugabe - so eine Art Belohnung, das "schönste Ziel der Welt" erreicht zu haben. Heißt das jetzt im Umkehrschluß: Wer keines dieser Hemden will, wird auch den Lauf nicht erfolgreich beenden? Solche "überlangen" Läufe werden zum Großteil im Kopf entschieden - und genau das passiert bei mir schon lange vor dem Startschuß.
Ansichtskarte von Schmiedefeld (ca. 1970), Auslese-Bild-Verlag / Bad Salzungen
Unsere Anreise erfolgt am Freitagnachmittag und läßt uns gleich im Zielort Schmiedefeld landen. Den Umweg über Eisenach (zum Abholen der Startunterlagen) ersparen wir uns, da Zeitaufwand und Nutzen in keinem vernünftigen Verhältnis stehen. Wir beziehen unser etwas abgelegenes "Quartier" (vom Vorjahr), wo bereits zwei andere Fahrzeuge die Idylle dieser Abgeschiedenheit nutzen. Der Weg zum Festgelände ist zwar mit knapp zwei Kilometern Fußmarsch zeitraubender als ein Direkt-vor-Ort-Campen oberhalb des Zieleinlaufes, doch der gesamte Trubel ist im gesetzten Alter einfach zu viel des Guten und der einsetzende Starkregen verbessert die Situation auf dem abschüssigen Grashang nun auch nicht gerade. Einen Kurzbesuch zum Auffüllen der Kohlenhydratspeicher unternehmen wir trotzdem zum Sportplatz, denn die entgangene Kloßpartie von Eisenach muß ja irgendwie kompensiert werden. Es gibt mit Kellerbier, Bratwurst und Fischbrötchen einen mehr als gleichwertigen Ersatz zum Eisenacher Marktplatz-Dinner - der Magen bedankt sich, der Körper wird sich (mit bestmöglicher Leistung) revanchieren.
Startaufstellung mit Torsten aus Hermsdorf (li.) sowie Steffen aus Lunzenau (re.)
Um 2:45 Uhr haut uns der Wecker aus dem Wohlfühlmodus. Nun wird es ernst! Doch die Zeit bis zur Busabfahrt um 3:30 Uhr ist auch schnell aufgebraucht - so schnell, daß wir im Laufschritt den Weg in den Ort nehmen müssen. Schnell ist auch die Busfahrt, die schon kurz vor 5 Uhr in Eisenach beendet ist. Wir haben demnach genügend Zeit, unsere Startunterlagen abzuholen und uns ausgehfein zu machen. Man trifft sich noch mit Hinz und Kunz (Pseudonyme - um aus Datenschutzgründen die Namen nicht preiszugeben) und lauscht den Klängen des Schneewalzers, ehe 6 Uhr das recht überschaubare Feld von rund 1.500 Startern auf die Reise geschickt wird.
Eisenach, Marktplatz
Da wir uns unter dem sportlichen Aspekt der (auf diesen Lauf gemünzten) Untrainiertheit ganz hinten plazierten, vergehen fast zwei Minuten, ehe unsere Zeitnahme aktiviert wird. Aller Anfang in diesem Bereich (der Rucksackträger und Stöckeverwender) ist zäh und wird sich erst beim Einbiegen auf den Rennsteig, nach rund sieben Kilometern, entzerren. Viele Zuschauer säumen zu früher Morgenstund' die Straßen der Wartburgstadt. Allerhand Durchhalteparolen werden nun den Läufern mit auf den Weg gegeben. Vielleicht erinnert sich ja der eine oder andere daran, wenn es auf den nächsten rund 70 Kilometern mal nicht so rund läuft?
Eisenach, Nikolaitor
Der erste Anstieg nach dem Passieren des Nikolaitores scheint im hinteren Feld nur im Wanderschritt machbar zu sein. Nun wird es auf der Straße auch wieder enger und das Tempo wird vom Gros der Teilnehmer bestimmt - größtenteils ist nur der Wanderschritt oder kräftezehrendes Lückengespringe möglich. Zum Glück habe ich keine Uhr dabei und kann so keine Hochrechnungen anstellen. Ich würde sonst sicherlich schon mit überhöhtem Puls zu kämpfen haben. So bleibt alles entspannt, vor allem für Ute, die sonst mein ständiger Uhrenvergleich zum Wahnsinn trieb (oder zumindest zu einer penetranten Unruhe). Heute werde ich mir die Uhrzeiten (denn eine Wettkampfzeit läuft auch bei Ute nicht mit) von ihr erfragen müssen und nicht immer eine Antwort darauf bekommen.
Stau am Stadtrand von Eisenach
Das Wetter meint es heute gut mit uns - das ist schonmal ein Ansatz, den man nutzen sollte. Knapp über 10°C und eine defensiv hinter den Wolkenlücken agierende Sonne sind nahezu optimale Laufbedingungen. Zwar hat der Regen des gestrigen Abends die Wege (teils stark) ausgespült und den klitschnassen Steinpassagen sollte man auch die nötige Beachtung schenken - doch Hand aufs Herz: das ist nunmal der Rennsteig. Vor ein paar Jahren wurde dieser als "größter Crosslauf Europas" beworben, da muß man schon mal einen Blick mehr nach unten werfen, als man es von Straßenläufen kennt.
Sonnenaufgang im Waldabschnitt unterhalb des Burschenschaftsdenkmals
Für uns plätschert der Lauf ein wenig so dahin. Das unumgängliche Einlaufen auf der Langdistanz dauert grundsätzlich auch etwas länger und die ersten Kilometer sind nicht aussagekräftig genug, was hier gegen Ende 'rauskommen wird. Noch werden die Anstiege von uns komplett gelaufen, während andere wiederum den Wanderschritt wählen. Welche Art der Krafteinteilung nun sinnvoller ist, muß jeder für sich entscheiden. Die Streckenlänge und der Umfang der Vorbereitung darauf werden auf diese anfänglichen Kraftmeiereien (Laufen) oder weitsichtigen Krafteinsparungen (Wandern) eine Antwort parat haben. Wie sagt doch Kai aus Pobershau (nachdem wir ein Stück zusammen unterwegs waren) beim Einstieg in den nächsten Hang so schön!? "Der erfahrene Ultraläufer geht jetzt wieder." Er behält damit auch recht, denn während wir weiter unseren Stiefel latschen, mimt er den Wanderer. Das Ergebnisprotokoll wird ihn am Ende des Tages für seine weise Entscheidung mit einer wesentlich besseren Zielzeit belohnen. Wir zwei befinden uns eben noch im Lernprozess.
Kilometer 15 - Kahlschlag nach der Bergwachthütte
Die ersten Besuche des nahen Streckenrandes haben wir auch hinter uns gebracht und so ist das immer stärker werdende Grummeln im Bauch fürs erste abgestellt. Doch wie lang hält dieser Zustand an? Wie wirkt man dem entgegen? Mittlerweile bewegen wir uns zwischen dicken Nebelschwaden und die Temperatur ist sicher auch um ein paar Grad gefallen. Das Hemd ist maximal durchgeschwitzt und kühlt nun die hochempfindliche Magengegend. Da heißt es nun, an der Verpflegung Vorsicht walten zu lassen. Auch wenn sich die Helfer an den Ständen mit der Präsentation ihrer "Waren" noch so große Mühe gegeben haben, verkneife ich mir den Griff zur festen Nahrung und gleiche nur den Flüssigkeitsfüllstand im Körper wieder aus.
Im langen Anstieg zum Großen Inselsberg
Der Große Inselsberg (916 m üNN) wird der erste Gradmesser des Laufes sein, denn dann ist ein Drittel der Distanz geschafft und darauf lassen sich gut die weiteren Prognosen errechnen. Im Vorjahr sind wir hier erst nach 3:15 Stunden drüber (so schlecht, wie nie zuvor) und endeten erst nach 9:58:04 Stunden in Schmiedefeld. Zum Glück habe ich diese beiden Zeiten nicht im Kopf, als wir auf den vernebelten Gipfel zusteuern. Das Fehlen dieser wichtigen Zahlen passiert mir sonst nie, daher kann ich auch nur Vermutungen zu verschiedenen Zwischenzeiten und dem Endergebnis anstellen. Es ist 9:04 Uhr (demnach 3:02:25 Stunden Wettkampfzeit), als wir den Scheitelpunkt am Gasthaus erreichen und uns an den Abstieg machen.
Ansichtskarte vom Großen Inselsberg (ca. 1970), Auslese-Bild-Verlag / Bad Salzungen
Großer Inselsberg im Nebel
Da Ute mit solchen steilen Abfahrten keinerlei Berührungsängste hat und deshalb stets Vollgas gibt, ich aber Körpergewicht und Stabilität der Gelenke in die Bergabbewegung mit einbeziehen muß, gebe ich ihr "freie Bahn". Treffpunkt wird dann nach 26,4 Kilometern der Verpflegungspunkt Grenzwiese auf der Ostseite des Inselsbergs sein. Dort könnte ich dann (theoretisch) ein persönliches Jubiläum feiern, denn 600 Meter später würde ich meinen 1.000. Rennsteiglauf-Kilometer seit 2009 abhaken. Da jedoch für diese Art des Zahlenspiels nur der "richtige" Rennsteiglauf (von Eisenach bis Schmiedefeld) in Betracht gezogen wird, verschiebt sich dieses Jubiläum um eine Halbmarathon-Länge nach hinten. Dieser Einundzwanziger war 2009 mein sanfter Einstieg ins "Einmal Rennsteig, immer Rennsteig!"-Geschäft, hat aber meines Erachtens keine Relevanz in der eigenen Rennsteiglauf-Statistik.
Rennsteig-Hinweisschild an der Grenzwiese
Ich könnte jetzt weitere Berechnungen zur Zielzeit anstellen, doch dafür will ich noch den großen Verpflegungspunkt an der Ebertswiese abwarten. Um 10:24 Uhr (4:22:45 Stunden netto) erreichen wir diesen gemeinsam mit Steffen, der zwar vor uns in Eisenach in die Spur ging, uns aber kurz vor der Zeitmeßmatte, von hinten kommend, begrüßte. Begründung: Magenprobleme, doch die kann er hier am VP mit Haferschleim gut bekämpfen. Auch ich greife hier zu diesem Rennsteiglauf-Klassiker, schließlich habe ich mich bisher nur mit Vita-Cola ernährt und über etwas Abwechslung freut sich sicherlich auch mein Magen. Der persönliche Speiseplan auf der Ebertswiese beinhaltete stets (auch als ich noch ein paar Schritte schneller unterwegs war) das obligatorische Paar Wiener mit ordentlich Senf. Doch heute kann und will ich gar nichts essen - so eine Eßpause würde uns nur zusätzlich ausbremsen.
Zeitmessung vor dem VP Ebertswiese
Am Ende des Verpflegungspunktes kann man sich im Bachwasser noch frisch machen und das Salz aus dem Gesicht waschen. Auch Ute und ich nutzen diese Gelegenheit, nur Ute holt sich bei dieser Aktion ein leicht dickes Knie, als sie beim "Ausstieg" aus dem Wassergraben abrutscht und am Betonteil des Weges hängen bleibt.
Verpflegungspunkt Ebertswiese
Ist das jetzt das Ende unseres Ausflugs? Natürlich nicht! Während Ute sogar die "zweite Luft" (vielleicht auch einen Adrenalinschub aufgrund des Mißgeschicks) für sich verbucht, geht mir langsam die Luft aus. Nicht Utes Beine werden schwerer, nein, es sind meine Krücken, die immer kraftloser aufstampfen. Mein linker Fuß scheint völlig überlastet zu sein und vermittelt mir ein Gefühl des Auseinanderbrechens. Unsere 1.000-Rennsteiglauf-Kilometer-Marken kommen da recht ungünstig, denn wie Feiern ist uns nicht zumute.
Mein 1.000. Rennsteiglauf-Kilometer bei km 48,1
Doch wir liegen für unsere Verhältnisse immer noch gut in der Zeit, welche mit etwas Glück und Verstand noch unter neun Stunden abgelaufen sein könnte. Die Marathondistanz hatten wir nach rund 5:03 Stunden erledigt und das 50-km-Schild nach etwas über sechs Stunden passiert. Dabei waren unsere Pausen an den Verpflegungen großzügig und an der Ausspanne an den Neuhöfer Wiesen (km 44,7) gönnten wir uns das erste Bier des Tages.
Utes 1.000. Rennsteiglauf-Kilometer bei km 49,3
Bier an der Getränkestelle Gustav-Freytag-Stein
Aufgrund von Bauarbeiten gibt es vor Oberhof eine unwesentliche Streckenänderung, welche etwas mehr Wiese als Lauffläche anbietet. Nach 6:37:18 Stunden überqueren wir die Zeitmatten, nehmen nur wenig Flüssiges auf und gehen nun die letzten knapp zwanzig Kilometern an. Diese könnte man sich auch schenken, wenn zum Beispiel der Bewegungsapparat nicht mehr will, man unzufrieden ist oder man gar keinen Bock mehr hat. Wenn das Zeitlimit von neun Stunden überschritten ist, müßte man hier sogar aus dem Wettkampf ausscheiden. Doch all das ist gar nicht so schlimm, weil man eine Wertung über 54 Kilometer hat und (meines Wissens) auch die Medaille ausgehändigt bekommt. Daran verschwenden wir keinerlei Gedanken, denn noch läuft es (den Umständen entsprechend) gut.
Ja, er lebt noch!
Auf dem höchsten Punkt der Strecke, unterhalb des Großen Beerbergs (km 61,6), werden wieder alkoholische Mixgetränke ausgeteilt. Dabei erwischt Ute einen Aperol Spritz (obwohl sie in dem Becher Natur-Radler vermutet) und ich genehmige mir zwei (kleine) Cola-Whisky. So viel Luxus sollte man sich schon gönnen können, ist ja schließlich etwas ganz besonderes. Zudem wurden die Zutaten für diese Minibar mühsam per Handwagen auf den Beerberg geschafft und da wäre es blöd, wenn diese Utensilien keine Beachtung finden würden und demnach volle Flaschen wieder "ins Tal" geschafft werden müßten.
Höchster Punkt der Strecke mit Ausschank alkoholischer Mischgetränke
Den VP Schmücke, bei dem wir 14:04 Uhr über die Zeitmeßmatte (8:02:20 Stunden netto) laufen, lassen wir heute mal aus. Der Magen ist voll und ein letzter (fast aussichtsloser) Versuch soll nun noch die Acht vor dem Doppelpunkt sichern. Doch dieses Unternehmen bricht abrupt ab, als ich mich nun auch noch mit starkem Seitenstechen herumplage. Es ist am Ende auch völlig egal, wieviel Zeit unser Rennsteig in diesem Jahr dauert. Es wird sowieso keine gängige Zielzeit mehr, mit der man hausieren gehen kann und diese wird später auch nicht auf dem Grabstein verewigt werden - es gilt nun nur noch, die richtige Balance zwischen Laufen und Wandern zu finden. Demzufolge wird die letzte Versorgung bei Kilometer 69,3 auch nicht ignoriert. Hier esse ich dann sogar eine der liebevoll belegten Käseschnitten und trinke ein Schwarzbier - der Name Bierfleck verpflichtet regelrecht dazu.
Schmücke - die mit 916 Metern Seehöhe höchste Ansiedlung am Rennsteig
Noch viereinhalb Kilometer sind zu überbrücken. Jetzt geht es wirklich nur noch bergab, obwohl uns dies bestimmt schon die letzten 25 Kilometer zugerufen wurde. Doch wir kennen den Parcours, da prägt sich über die Jahre jede noch so kleine Hucke ein, vor allem die Anstiege zum Ende der Strecke.
Zwischen Goldlauterberg und Mordfleck
Na gut, zwei ganz kleine Hügelchen kommen noch. In meinem Zustand wähne ich mich an diesen beiden "Hindernissen" beim ehemaligen Wallberglauf und beim knackigen Cronometro del Nara im Tessin. Nummer 1 der beiden Bergläufe ist gleich hinter Kilometer-Schild 72 und überwindet keine fünf Meter Höhenunterschied. Dort sitzen auch noch Zuschauer, die die Situation richtig erkennen und Ute mit einem "Den hängste ab, der kann nicht mehr!" motivieren. Sie revidieren ihre Zurufe jedoch, als sie unsere gleiche Laufuniformierung ausmachen: "Ach nee, die laufen zusammen." Nummer 2 ist dann kurz vor der Zielgasse, hier nimmt im Normalfall nur eine Wasserwaage Notiz von der Unebenheit der Straße - und eben ich.
Weit ist es nun nicht mehr!
Die letzten Meter (hinab zum Ziel) vergehen viel zu schnell. Das phantastische Publikum von Schmiedefeld verleiht verlorengeglaubte Kräfte. Um 15:10 Uhr, nach neun Stunden und acht Minuten Nettozeit durchlaufen wir gemeinsam den Rennsteig-R-geformten Zielbogen. Im Anschluß daran gibt es die obligatorische "Medaille fürs Mitmachen" und ein paar alkoholfreie Abschlußgetränke. Wir lassen uns Zeit und lümmeln auch noch länger auf der Gepäckwiese herum, ehe wir uns den Schmutz von den Gliedern waschen. Das Zielbier gibt es in diesem Jahr nur in einfacher Ausführung, da der "Suppe"-Gutschein nicht für die Einlösung eines "Köstritzers" anerkannt wird. Schade, dabei macht doch so ein Rennsteiglauf verdammt durstig.
Belohnung für Utes Zielankunft: Platz 3 in der Altersklasse
Naja, der ganze Streß ist jedenfalls erstmal vorbei. Wir gehen zur Zielgasse, um den noch ankommenden Läufern unseren Respekt zu zollen - wären da nicht die Glückwünsche einer Freundin auf Utes Telefon gelandet, die den 3. Platz in ihrer Altersklasse würdigen. "Man muß nicht schnell laufen können, man muß nur alt genug sein.", so Utes Kommentar, bevor sie sich in die Spur begibt, um ihren "Lohn" abzuholen. Die Siegerehrungen sind längst Geschichte und deshalb wird sie stets freundlich von hier nach da, quer durchs Gelände geschickt, um letztendlich doch noch ihre Urkunde und Medaille zu bekommen.
Startnummern mit Teilnahmestempel und Utes dekorativer Altersklassen-Medaille
Nach dieser ganzen Aufregung kommen wir endlich zur Ruhe und lassen den Tag gemeinsam mit den Lauffreunden aus Burgstädt ausklingen - zuerst auf dem Sportplatz und am Abend im Festzelt (welches ja gar kein Zelt mehr ist). Bis 23 Uhr lauschen wir dabei den Klängen des vorgetragenen Liedgutes, welches selbstredend das Roth'sche Rennsteiglied beinhaltet, und gießen uns dabei mehrere kellerkalte Kellerbier hinter die Binde. Der rund halbstündige Heimweg zum Fahrzeug läßt anschließend das während des Genusses als alkoholfrei deklarierte Bier voll zur Wirkung kommen. Sauerstoffarme Partyzeltluft vernebelt eben die Sinne und das Einatmen einer sternenhimmelklaren Brise deckt diesen Irrglauben gnadenlos auf.
Blick vom Skihang auf Schmiedefeld
Am Sonntag verlassen wir nun nicht fluchtartig Schmiedefeld, denn dafür ist das Wetter viel zu schön. Eine kleine Wanderung auf den "Hausberg von Schmiedefeld", den Großen Eisenberg, nehmen wir noch in Badelatschen in Angriff. Mit seinen 907 Metern Seehöhe ist er immerhin der fünfthöchste eigenständige Berg des Thüringer Waldes. Für seine Besteigung nehmen wir die Südostflanke über den Schmiedefelder Skihang - das klingt spektakulär, ist es aber nicht! Man läuft dabei nur länger in der Sonne und hat einen schönen Blick auf Schmiedefeld. Der bewaldete Gipfel hat dagegen keinerlei Fernsicht zu bieten.
Großer Eisenberg (907,4 m üNN) und Ringelnatter beim Sonnenbad auf der Rennsteiglaufstrecke
Der Abstieg erfolgt durch den Wald hinab zu den finalen Kilometern des Rennsteiglaufes. Bei unserem Einbiegen auf die Strecke sonnt sich eine Ringelnatter auf der breiten Forststraße. Das war ihr ja am Vortag nicht vergönnt, bei dem ganzen Aufmarsch, der hier durch ist. Wir überqueren die Suhler Chaussee, nehmen die Passage durch die Kleingartenanlage, ein paar Meter durch den Ort und flanieren die Zielgasse hinab. Heute herrscht rege Abbautätigkeit und der Zeltplatz oberhalb des Sportplatzes ist auch schon so gut wie leer. Wir drehen noch eine Runde durch den unteren Teil Schmiedefelds, ehe wir zu unserem Fahrzeug zurückkehren und 12:15 Uhr die Heimreise antreten.
Das 1984-er Teilnehmerhemd vom Rennsteigläufer Prof. Hans Dresig
Wie anfangs erwähnt, fand eine etwas intensivere Vorbereitung auf den 2024-er Rennsteiglauf unsererseits statt. Hatte ich 2022 satte 75 Jahres-Kilometer bis zur Startlinie in Eisenach vorzuweisen (Ute nahm damals, weitsichtig agierend, nicht teil), waren es im Vorjahr schon 300 Kilometer von Jahresbeginn bis zum Rennsteiglauf. Diese Zahl steigerten wir nun auf rund 500, welche im Gegensatz zu früheren Rennsteiglauf-Vorbereitungen (mit mind. 1.500 Trainings-Kilometern) natürlich nicht annähernd ausreicht. Vielleicht spielen aber auch die längeren Ausfahrten mit dem Rad eine leistungsfördernde Rolle? Diese uns von Tilo aufs Auge gedrückten "Sonderschichten" könnten das Zünglein an der Waage sein, welches uns (besonders aber Ute) mit dem erbrachten "Ergebnis" in Eintracht wiegt. Um es mit Siggis Worten zu sagen, der Ingo Anderbrügge zu Utes 3. Platz etwas abgewandelt zitierte: "Die Medaille gehört zu 70 Prozent dir und zu 40 Prozent dem Tilo." Die noch verbleibenden 20 Prozent hefte ich mir ans Revers, schließlich will ich nicht umsonst auf meine traditionellen Wiener auf der Ebertswiese verzichtet haben.
Ob nun 72,7 oder 73,5 oder 73,9 km - der Rennsteiglauf beginnt in Eisenach und endet in Schmiedefeld!
Ute: 14x Rennsteig = 1.024,6 km in 121:27:29 h (Bestzeit 7:40:02 h für 72,7 km)
Thomas: 14x Rennsteig = 1.025,8 km in 116:35:31 h (Bestzeit 6:32:55 h für 72,7 km)
GutsMuths-Rennsteiglauf 1985 (aus der Ergebniszeitung - die "lange Strecke" maß allerdings nur 67 km und nicht 75)
51. GutsMuths-Rennsteiglauf 2024:
insgesamt 17.077 Meldungen - davon 15.018 Starter (auf allen 7 Strecken)
immerhin 1.800 ehrenamtliche Helfer sorgten für einen reibungslosen Ablauf
Supermarathon 2024:
1.429 Läufer im Ziel (1.151 Männer und 278 Frauen),
103 Aussteiger mit Wertung bei km 54 in Oberhof (76 Männer und 27 Frauen)
Ute: 778. Gesamtplatz, 107. Platz/w, 3. Platz Altersklasse W60, 9:08:37 h
Thomas: 779. Gesamtplatz, 672. Platz/m., 108. Platz Altersklasse M50, 9:08:38 h
Ach ja, ein neues Rennsteiglauf-Buch gibt es auch mal wieder. Darin werden die letzten 50 Jahre des Laufes näher beleuchtet - mit allerhand Fotos, Statistiken, Dokumenten, Erlebnisberichten und Biographien steht dem Leser eine aktualisierte Chronologie von Thüringens größter Breitensportveranstaltung zur Verfügung. Ein Muß für nostalgisch veranlagte Rennsteigläufer!