Waldwiese

9. ULF (Ultra-Lauf Fichtelberg) / 1. SULF (Super-Ultra-Lauf Fichtelberg) 2013

Geschrieben von Thomas Delling.

13.07.2013 - 14:30 Uhr - 116,31 km / 2.335 Hm+ / 2.335 Hm- (Trainingslauf)

Kopie_von_SULF_IISonnenaufgang für uns nach rund 107 absolvierten Kilometern in der Nähe von Weißbach.

Unser Sonnabend beginnt ganz normal. Um nicht aufzufallen, schlafen wir aus und frühstücken gegen halb acht auf der Terrasse des Hauses. Niemand in der Siedlung vermutet an diesem Tag noch ungewöhnliches Verhalten von Ute und mir, die tausend Dinge im Haushalt werden erledigt und anschließend noch einer Hochzeit in Lichtenwalde beigewohnt. Der Nachmittag rückt näher und die Zeit des allgemeinen Mittagsschlafes nutzen wir, um uns ungesehen aus der Wohngegend zu stehlen. Es geht um die Umsetzung eines lange bestehenden "Projektes", welches wir dieses Wochenende auf unserem Wunschzettel abhaken wollen.

Der Lauf zum Fichtelberg ist ja nun mittlerweile ein alter Hut. Interessant wird es erst, wenn dabei auch der Rückweg zu Fuß angetreten wird und dafür nicht die öffentlichen Verkehrsmittel zur Verfügung stehen. Seit einer Woche kann ich (wegen meiner Blasen-Geschichte von Reichenbach) wieder richtig auftreten und am Mittwoch wagte ich sogar schon ein zaghaftes Läufchen. Am Tag darauf stieg auch Ute wieder ins läuferische Tagesgeschäft ein und konnte (so gut wie) keine Nachwehen von ihrem Fast-180er feststellen. Jetzt muß es also passieren!

Mit der späten Startzeit erleben wir vielleicht sogar den Sonnenuntergang auf dem höchsten Berg Sachsens, ein "zeitliches Muß" ist es aber auf keinen Fall, da wir ja auch noch zurück müssen. Die Wellness-Variante mit dem Bus retour ist aufgrund der sehr spät zu erwartenden Ankunft auf dem Fichtelberg auch ausgeschlossen, da um diese Zeit keine VMS-Beförderung mehr angeboten wird. Und ein Nachtlauf hat ja sowieso seinen besonderen Reiz!

Wir entscheiden uns für ein relativ zügiges Tempo um die 5:00 bis 5:30 Minuten, steilere Anstiege werden (aufgrund der auf uns noch zukommenden Strapazen) kräfteschonend schnell gegangen und längere Pausen zwischendurch sollen die nötige Erholung bieten. So kommen wir auch gut auf gewohntem Weg (über Gutsberg, Berbisdorf, Kemtau, Besenschänke, Tischl und Auerbach) ins obere Erzgebirge.

PIC_5271PIC_5278Erfrischung im Abtwald unterhalb der Besenschänke.   Am Ortsausgang von Auerbach/Erzgebirge.

Hauptproblem bei unserem Trainingslauf wird allerdings die eingeplante zusätzliche Versorgung mit Getränken. Im Rucksack ist neben Wechselkleidung und Süßkram natürlich auch Wasser mit an Bord, allerdings nur als Ergänzung. Unterwegs brechen uns viele sichergeglaubte Versorgungsquellen (wie geschlossene Getränkemärkte und Gaststätten) weg und so wird dadurch wenigstens ein sinnvolles Haushalten mit dem Mitgeführten geschult.

Verlass ist (wie immer) auf die Jugendherberge am Greifenbachstauweiher, die sog. Gifthütte. Ein erster größerer Halt wird daraus, da wir mit der Herbergsmutter bei einer Flasche Radler (für die von ihr vermuteten Fahrradfahrer) ins (tiefgründigere) Gespräch kommen. Für sagenhafte 25 Pfennige konnte man hier zu DDR-Zeiten übernachten und für 2,88 Mark hatte man damals die Vollverpflegung mitgebucht. Natürlich nicht ganz so günstig wird uns für den Rückweg auch ein Zimmer angeboten, da wir "unseren" Jugendherberge-Ausweis mitführen.

Gut versorgt und bestens informiert begeben wir uns nach ca. 20 Minuten Aufenthalt weiter in Richtung Süden. Der endlos langen, fast schnurgeraden Forststraße durch den Geyerschen Wald folgt wenig später der sumpfigste Abschnitt der Strecke. Die mit Wasser gefüllten und mittlerweile gut zugewachsenen Fahrspuren der schweren Forsttechnik durchs Dickicht sind heute besonders kraft- und zeitraubend.

Und gerade die Zeit sitzt uns dann doch irgendwie im Nacken. Unsere letzte Versorgungsmöglichkeit, der Penny-Markt in Scheibenberg, muß bis 20 Uhr von uns genutzt worden sein. Wir erinnern uns an ein schnelleres Lauftempo und erreichen das Geschäft eine halbe Stunde vor der Schließzeit. Die Marathondistanz ist in 5 Stunden bewältigt! Entsprechend großzügig schlagen wir dann auch bei Speis und Trank zu. Acht Flaschen oder Büchsen Iso, Karamalz, Bier und Radler halbe-halbe zum Sofortverzehr und zum Mitnehmen, dazu eine große Salzbrezel und ein Stück Erdbeerkuchen vom Bäcker - das Weitermachen fällt nach so einem Gelage schwer! 

PIC_5297PIC_5302Ein Stück Erdbeerkuchen kurz vor Ladenschluß.           Sonnenuntergang an der Joachimsthaler Straße.

Die letzten Sonnenstrahlen des Abends begleiten uns nun über die Felder und die lästigen Bremsen (Stechfliegen/Tabaninae) treiben uns zu schnellerem Laufen an. Am Erbisbächel rasten wir nochmal etwas länger, um uns den Salz- und Zuckerklebrig von der Haut zu waschen. Noch rund 10 Kilometer liegen jetzt vor uns, dann ist aber gerademal "Bergfest". Den Sonnenuntergang erleben wir nicht auf dem Gipfel, sondern unterhalb auf der Joachimsthaler Straße. Es ist 22:15 Uhr als wir unser Zwischenziel, Sachsens höchsten Punkt, erreichen. Das Plateau ist (logischerweise) menschenleer. Auch die zwei Gaststätten "Himmelsleiter" und "Erzgebirgsstuben" haben die Stühle schon hochgestellt. Nur in der ersten Etage des Fichtelberghauses, im "Das Guck" ist noch was los.

Jedoch entspricht unsere Garderobe nicht dem Dresscode der (noblen) Veranstaltung in dieser Bar - Anzug oder Kleid! Beides daheim, aber wenigstens können wir im Foyer "Durchgeschwitzt" gegen "Trocken" tauschen. Kurz darauf gibt es vor der Tür noch ein Feuerwerk - nicht für uns, sondern für die über uns feiernde Hochzeitsgesellschaft. Mit ihnen kommen wir ins Gespräch, das Brautpaar läßt sich dabei nicht lumpen und gibt uns zwei "Weizen" aus (Vielen Dank!).

IMG-20130713-01359IMG-20130713-01363Bisher ungewohnter Anblick des Fichtelberghauses.    Nach 7:45:28 Stunden ist "Bergfest".

"Von Chemnitz bis zum Fichtelberg ... wie lange braucht man da ...?". Ich zeige die Daten auf der Uhr. "Respekt! Und jetzt?" - "Na, wieder zurück!" Das hat gesessen! Nachdem unsere Pflichtausrüstung (Stirnlampe, Zwischenmahlzeiten, usw.) von Braut und Bräutigam abgenickt worden ist, machen wir uns wieder auf den Weg. Es ist mittlerweile 23 Uhr und es weht uns, beim Verlassen des Gebäudes, ein kalter Wind um die Nasen. 

Die entgegengesetzte Route des "Fichtelberglaufes" wollen wir, der Einfachheit halber, bis Neudorf nehmen. Also wackeln wir fröstelnd zum Eckbauer hinab. Danach wird es angenehmer und unsere Laufbewegungen finden zur Normalform zurück. Rotes Vorwerk, Bärenfangweg, ... - alles ganz einfach und trotzdem gelingt es, daß wir uns im Fünfenbach-Quellgebiet verlaufen. Wir werden stutzig, als unser eingeschlagener Weg beständig steigt. Der nächste Wegweiser gibt uns recht, wir müßten wieder zurück, da wir uns gerade wieder im Anstieg zum Fichtelberg befinden. Ich schlage einen unausgeschilderten Weg vor, der auch (nach meinem Orientierungssinn) in Neudorf ankommen müßte, da ich keine Lust habe, den gesamten Steig zurückzulaufen.

Ab und zu reflektieren Augenpaare aus dem Wald das Licht unserer Leuchten. Füchse, beruhige ich Ute, denn Wildschweine könnten wir jetzt beim besten Willen nicht gebrauchen. Irgendwann tauchen dann auch die ersten künstlichen Lichter auf - es ist Neudorf. Es ist aber auch schon seit einer Viertelstunde Sonntag, 1:15 Stunden für den Fichtelberglauf (bergab) - so langsam waren wir noch nie (berghoch)!

Im Tal des Flußes Sehma durchlaufen wir nun die Ortsteile Neudorf, Cranzahl und Sehma der Gemeinde Sehmatal. Es zieht sich ordentlich in die Länge und erste Verschleißerscheinungen treten auf, da auch noch die erhoffte Verpflegung am Nachtschalter der Tankstelle ersatzlos gestrichen wurde. Nach Cunersdorf und Buchholz (auch hier ist an der Tanke nichts zu holen, außer den vor der Tür abgelegten Sonntagszeitungen) erreichen wir Frohnau. Im Ortskern am gleichnamigen "Hammer" (eine Mühle aus dem 15. Jahrhundert) gönnt sich Ute erstmal eine zehnminütige Schlafpause auf einer Bank. Ich vertilge derweil die noch mitgeführte Büchse Bier und schaue mir dabei die dunkle Gegend an.

Gegen 2:45 Uhr biegen wir von der Sehmatalstraße auf die B95 Richtung Chemnitz ab, noch 30 Kilometer stehen dort angeschrieben und rund 86 haben wir schon weg. Ich hatte gedacht unser Rückweg wird kürzer! Naja, wir laufen ja nicht die Bundesstraße komplett bis heim. Nach dem Anstieg durch Schönfeld und dem dritten erfolglosen Tankstellen-Nachtschalter-Imbiß in Ehrenfriedersdorf biegen wir ins Tal der Wilisch ab. Auch wieder alles auf oder neben der Straße. Die Füße melden sich mit starken Schmerzen (bei Ute) und Blasen (bei mir) und wir fragen uns, ob man sich das freiwillig antun muß.

IMG-20130714-01395IMG-20130714-01400Kilometer 91 - 3:30 Uhr - Ehrenfriedersdorf ...            ... und in Weißbach schon "drham" (zuhause)?

Freiwillig des Nachts auf Straßen dahinkriechen ... gehen und dann wieder unrund anlaufen ... Jacke an ... Jacke aus ... Steine aus den Latschen ... jeder nur einen "wönnzigen" Schluck aus der Flasche ... Der Magen knurrt, aber bitte keine Gels, Snickers oder Babynahrung in Tuben! Mal etwas Deftiges! Die ersehnte warme Bockwurst und ein heißer Kaffee ... es bleibt beim Wunschdenken, als wir die Tankstelle in Gelenau von Nahen sehen. Geöffnet von 8 bis 21 Uhr, da krieg' ich dann wohl doch eher mein Bier bei "Grünfrieden" als bei den Ölmultis! Denn spätestens hier erinnere ich mich an den Spruch "Erst wenn die letzte Ölplattform versenkt und die letzte Tankstelle geschlossen ist, werdet ihr merken, daß man nachts bei Greenpeace kein Bier kaufen kann!" Aber genau das (mit dem nächtlichen Bierausschank) erfordert die erlebte Situation nun von den Umweltschützern!

Es ist aber inzwischen schon lange keine Nacht mehr und der Autoverkehr nimmt, für einen Sonntagmorgen erstaunlicherweise stark zu. Daher wird der Anstieg nach Weißbach auch ständig mit einem Ausweichen auf den Seitenstreifen ausgedehnt. Am "Netto"-Markt keimt neue, berechtigte Hoffnung auf eine kleine Mahlzeit, denn der Bäcker hat "sonntags geöffnet". Zwei Verkäuferinnen bereiten im Laden auch schon alles für Sonntagsbrötchen-Käufer-Ansturm vor, nur wird der erst 7:30 Uhr in den Laden gelassen und wir haben es gerade einmal 5:45 Uhr. Daher wollen wir auch gar nicht erst "betteln" gehen.

Über den Filialweg 'runter nach Dittersdorf, dann 'rauf zum Mühlberg. Dort warten mehrere Krähen auf den Weidepfählen am Wegesrand. Etwa auf uns? Bemerken sie unsere körperliche Schwächung, um dann in Hitchcock-Manier über uns herzufallen und uns den endgültigen Garaus zu machen? Wirre Gedanken, den sie flattern, als ich sie fotografieren will, verängstigt davon.

Den Rest über Einsiedel und Erfenschlag sind wir schon hunderte Male im Training gelaufen und trotzdem ist es irgendwie ganz neu. Die Füße wollen vor Schmerzen nicht mehr auftreten, sie müssen aber, denn wir wollen noch vor halb acht daheim ankommen. Also Zähne zusammenbeißen und an der Temposchraube gedreht. Es tut weh, fällt schwer aber wir werden belohnt: nach 16:59:24 Stunden kommen wir eine halbe Minute vor 7:30 Uhr an.

Fazit: erstmal nicht über diese Idee (vom Hin und Zurück) nachdenken!

Bilder gibt es hier!



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