Berglauf

3. Südtirol Ultra Skyrace 2015

Geschrieben von Thomas Delling.

24.07.2015 - 22:00 Uhr - 121 km / 7.554 Hm+ / 7.538 Hm-

Kopie_von_DSC00360Großzügig angelegtes Blockgelände läßt keine Bestzeiten beim Südtirol-Ultra zu!

Es ist Sonnabendnachmittag. Wir haben etwas mehr als 75 Kilometer Wegstrecke hinter uns und hängen nun auf der Alpler Alm auf rund 2.000 Metern Seehöhe fest, weil der Wettkampf von der Rennleitung unterbrochen ist - Starkregen, zeitweise auch Hagel, dazu Gewitter und Nebel hindern uns am Weitermachen. Eben haben wir im Tal noch gescherzt und es gab keinerlei Zweifel an einer Zielankunft, nun stehen wir völlig betröppelt vor dem Gebäude und sehen uns machtlos den Kräften der Natur ausgesetzt - der "Extremberglauf auf der Hufeisentour in den Sarntaler Alpen" ist damit vorzeitig für uns beendet!

Mit einer Kulisse, wie im Märchen beginnt unser einwöchiger Südtirol-Urlaub: ein fast einsam am nördlichen Hang von Bozen gelegener Bauernhof (560 m) mit dazugehörigem Kirchlein, umgeben von Obst- und Weinplantagen ist unser Quartier. Dazu säumen vereinzelt Palmen, Kakteen oder Feigenbäume die teils sehr steilen Wege in und um St. Georgen. Der großartige Rundumblick auf den Talkessel und die umliegenden Berge setzt dabei der herrlichen Lage des Messnerhofes noch die Krone auf.

Die Tage sind jedoch sehr schweißtreibend, da das Quecksilber bis auf 38°C klettert. In Bozen ist diese Situation, durch den fehlenden Luftaustausch,  noch unangenehmer als in den Höhen von Jenesien, Salten und Kohlern, wohin wir deshalb ein paar Erkundungstouren unternehmen. Der Abend klingt dafür meist mit einem Gewitter aus, allerdings ohne Regen und ohne die erwünschte Abkühlung.

Aber wir sind ja nicht nur zur Erholung in Bozen! Es gilt das "härteste Rennen Südtirols" zu bestreiten. Anfang Januar hatten wir uns gleich nach Eröffnung der Anmeldung eingeschrieben, dazu das ärztliche Attest eingereicht und uns mit einigen längeren Läufen/Wettkämpfen im Frühjahr die dafür notwendige Kondition geholt. Ein paar Bergtouren in der Vorwoche rundeten das Vorbereitungsprogramm stilvoll ab.

DSC00212DSC00210Die Straßen von Bozen nach St. Georgen sind steil, eng und vom 15. November bis 15. April nur mit Winterreifen/Schneeketten nutzbar.

Am Freitag steigen wir gegen 9 Uhr mal wieder von unserer Behausung nach Bozen hinab - zur Abholung der Startunterlagen. Diese gibt es in einem größeren Hinterhof, nahe dem Waltherplatz, dem Anfangspunkt der langen Schleife. Die Startsäcke sind voll mit allerlei Getränken, Riegeln und Werbegeschenken. Nur das mitgelieferte "Geschenkband" für die Befestigung des Transponders paßt nicht so recht in die professionelle Abwicklung der Startnummernausgabe.

Gegen 13 Uhr sind wir (nachdem wir erstmals den Bus nutzten) wieder in unserer Bleibe. Nun gilt es die Laufrucksäcke und die Beutel für die Zwischenstation "Penser Joch" und das Ziel zu bestücken. Bis 16:45 Uhr dauert diese Zeremonie. Zur geplanten Bettruhe bis zur Busabfahrt nach Bozen kommt es dann doch nicht, da sich ein Gewitter über Jenesien entlädt und somit an Schlaf nicht zu denken ist.

Gegen 18:30 Uhr brechen Ute und ich vollbepackt mit je einer großen Sporttasche auf. Vor dem Haus müssen wir jedoch erst noch den Vermietern Rede und Antwort stehen und so wird es zeitlich ganz schön eng bis zur Busabfahrt um 18:51 Uhr oben an der Landesstraße, in rund einem Kilometer Entfernung. Wir erfahren aber auch aus den kurzen Gesprächen vom hohen Gewitterrisiko am Hirzer, wo deshalb bei den vorangegangenen beiden Läufen Teilnehmer aus dem Rennen genommen wurden. Wir sind also gewarnt!

Ab 19:30 Uhr mischen wir uns unter die Teilnehmer der Pasta-Party. Es gibt die üblichen Teigwaren - allerdings nicht zu üppig. Ute holt im Supermarkt noch vier Flaschen Wasser, die wir mit auf Tour nehmen werden. Und nach der für alle Läufer verpflichtenden Besprechung zum Wettkampfverlauf (neudeutsch: Briefing) erfolgt die Rucksackkontrolle. Dabei wird die Pflichtausrüstung eines jeden überprüft. Wie nach der HU am Fahrzeug bekommt man bei ordnungsgemäßen Inhalt des Rucksacks eine "Plakette" geklebt und darf sich in den abgegrenzten Startbereich begeben.

Während wir mit Holger aus Lauchhammer und Christoph aus Bautzen über die bevorstehende Aufgabe philosophieren, lobt der Sprecher u.a. die Qualität der Startpistole und die des Schützen, des Bozener Bürgermeisters. Als es dann nach dem Herunterzählen allerdings ernst wird, versagen beide! Erst der dritte Versuch klappt. Zu diesem Zeitpunkt ist allerdings schon ein Großteil der 170 Teilnehmer durch den Startbogen hindurch und bahnt sich seinen Weg durch die anfangs mit vielen Zuschauern gesäumten Gassen. Holger, Ute und ich haben uns ganz hinten positioniert und trotten nun der Menge hinterher. Zuerst viel Lärm am Waltherplatz (264 m) und den Lauben, danach Totenstille in einem längeren Durchgang und dann wieder Applaus auf der Brennerstraße.

Das Feld zieht sich beim Durchlaufen der Stadt weit auseinander und nach zehn Minuten erreichen wir den ersten Anstieg - 25% Steigung weist das dazugehörige Verkehrsschild aus. Die Straße ist eng und hat eher Fußwegcharakter, aber von hinten will sich unbedingt noch ein BMW an uns vorbeischieben. Natürlich kommt er heute Abend nicht wie gewohnt hier den Berg hoch! Das ständige Anfahren (höchstwahrscheinlich mit angezogener Handbremse) verursacht eine trübe Sicht und eine nach Kupplung und Bremse stinkende Wolke, die sich nur schlecht aus der Häusergasse verflüchtigt. Kurz vor Ende dieser ersten Steigung steht der Wagen dann stark qualmend auf der Mitte des Weges "geparkt" und der Fahrzeugführer klatscht uns zynisch zu. Ein Ordnungshüter (der zur Streckensperrung eingesetzt ist) beobachtet argwöhnisch diese skurrile Situation - vielleicht überprüft er mal den Alkoholgehalt des Fahrers, denn im nüchternen Zustand dürfte so etwas nicht passieren.

Nun nimmt die Wegführung abwechselnd Straßenabschnitte und kleine Pfade um nach Oberbozen (1.254 m) zu gelangen. Dort gibt es den ersten Verpflegungspunkt der Runde, wo ich mich mit Melonen- und Apfelstücken, dazu Wasser und Iso verköstige. Es ist 23:15 Uhr und das Zuschauerinteresse ist riesig. Noch lange hört man die Anfeuerungsrufe in der Dunkelheit der weiter oben liegenden unbeleuchteten Straßenzüge. Danach verflacht die Strecke etwas und es geht nur noch minimal bergan. Holger verabschiedet sich nun aus unserer Dreiergruppe nach vorn.

Kopie_von_DSC00336Kopie_von_DSC00341Voller Tatendrang am Freitagabend in Bozen.              Mitternacht in Oberbozen - der erste VP.

Auf breiten Wanderwegen und Forststraßen kommen wir über Ringermoos (1.320 m) und Tann (1.488 m) nach Pemmern (1.538 m). Hier stehen zwar an der Talstation der Rittner-Horn-Bergbahn nur zwei Personen, aber auch sie zollen uns ihren Respekt. Es wird wieder steiler und es beginnt auch zu regnen. Auf dem Weg zum Gasthaus Unterhorn (2.044 m) kommen uns gleich mehrere Personen entgegen. Sie meinen, wir würden noch eine halbe Stunde bis zum Gipfel benötigen, den man nun aufgrund der Lichterkette, die dorthin führt, als wesentlich näher einschätzt. Es zieht sich jedoch noch ganz ordentlich und erst 1:44 Uhr erreichen wir das Rittner Horn (2.261 m). Was heißt aber "erst"? Wir haben nach rund 19 Kilometern schon mal zweieinviertel Stunden Vorsprung auf das Zeitlimit. Da kann man bei der Verpflegung schon mal etwas intensiver zulangen. Daher gönne ich mir zusätzlich zum gewohnten Programm ein (alkoholfreies) Bier.

Kopie_von_DSC00344Kopie_von_DSC00345Rittner Horn: 2.080 der 7.554 Höhenmeter sind nach 19 Kilometern geschafft!

Es ist sehr zugig am Gipfel. Einige Läufer halten sich daher im Inneren des bereitstehenden Zeltes auf. Wir verzichten jedoch darauf, weil es unnütz die Bequemlichkeit fördert und man nicht so schnell wieder in die Gänge kommt - im Windschatten des Zeltes schmeckt die Suppe genauso gut!

Der Hufeisentour folgend nehmen wir nun den langgezogenen Abstieg zum Gasteiger Sattel (2.058 m). Der breite Wanderweg mündet später in einen Pfad, welcher über Wiesen mit unzähligen kleinen Bächen geht. Es schließt sich der Anstieg zum Sarner Scharten-Biwak (2.380 m) und zur Sarner Scharte (2.468 m) an. Dort warten einige Streckenposten zum Notieren der Startnummern. Noch ein paar Meter und wir erklimmen gegen 3:30 Uhr den Villandersberg (2.509 m). Auf dessen Bergrücken geht es nun wieder hinab. Der Pfad ist steinig und führt in kleinen Windungen zum Totensee (2.208 m). Kurz darauf haben wir nach 30 Kilometern das Totenkirchl (2.186 m) und dessen Verpflegungspunkt erreicht. Auch hier sind die Helfer recht freundlich und man kommt, während der kleinen Stärkung, schnell mit ihnen ins Gespräch.

Hier wird die 7 Uhr in Bozen gestartete kurze Variante des Südtirol-Ultras nach Sarnthein abbiegen. Wir müssen jedoch über den Totenrücken (2.221 m) weiter zum Prackfiedererjöchl (2.060 m) - eher unspektakulär. Es ist jedoch Nebel aufgezogen und da vor und hinter uns kein Läufer in Sichtweite ist, fällt die Orientierung schwer. Systematisch leuchten wir das Gelände nach Markierungen ab und tasten uns so nur sehr mühselig nach unten.

Kopie_von_DSC00349Kopie_von_DSC00357Verpflegungsposten Totenkirchl bei Kilometer 30.       Dezenter Hinweis am Latzfonser Kreuz.

Auf einem breiten Weg und einer Forststraße können wir dafür wieder Fahrt aufnehmen, da sich der Dunst verzogen hat und es leicht wellig Richtung Stöfflhütte geht. Es wird langsam hell und die Stirnlampe wird nun nicht mehr benötigt. Schon von weitem hört man den zur Stöfflhütte (2.057 m) gehörigen Hahn, denn er kräht sich mit einer nicht endenwollenden Ausdauer die Seele aus dem Leib. Die Pferde vor dem Gatter scheint es nicht zu stören, denn sie stehen geduldig am Eingang zum Hüttenhof und lassen sich sogar streicheln.

Nun zieht sich die Hufeisentour über Wiesen hinauf zum Kesselbild (2.342 m) am Jocherer Berg. Auf einer Hochebene treffen wir dabei wieder auf Holger. Zu dritt nehmen wir die noch langgezogene Steigung und die "kleine" Senke von rund einem Kilometer und treffen gegen 6:30 Uhr an der Schutzhütte am Latzfonser Kreuz (2.311 m) ein - damit haben wir zweieinhalb Stunden (beruhigenden) Vorsprung auf das Zeitlimit! Ungefähr 15 Minuten verweilen wir an diesem Wallfahrts- und Pilgerort. Es gibt alkoholfreies Bier, Suppe, etwas Obst, den ersten Hüttenstempel (da die vorherigen Hütten Nachtruhe hatten) und erstmals Funkempfang fürs Telefon (was zu einer Flut an eingehenden Nachrichten und einem kurzen Lagebericht meinerseits im "Ticker" führt).

Kopie_von_DSC00359Kopie_von_DSC00362Granatenhülse als Zeitzeuge des Ersten Weltkrieges.  Gleich sind 50 Kilometer geschafft!

Unterhalb von Ritzlar und Kassianspitze verläuft der Steig zur Fortschellerscharte (2.299 m). Von dort geht es im ständigen Auf und Ab an den Hängen von Geis- und Schrotthorn, sowie Leier-, Liffel-, Pfannen- und Foltschenaispitze auf dem Durnholzer Höhenweg zum Tellerjoch (2.520 m). Etwas unterhalb des Übergangs haben die Posten ihr Zelt stehen, sie erzählen etwas von einer halben Stunde, die wir noch bis zur nächsten Verpflegungsstelle benötigen würden. Die Hütte könne man nur jetzt aufgrund des Nebels nicht sehen.

Auf dem weiteren Weg halte ich diese letzte Aussage jedoch für ein Gerücht, da die Marburg-Siegener Hütte, oder auch Flaggerschartenhütte (2.481 m), wirklich erst kurz vor ihrem Erreichen sichtbar wird (wenn man nicht die Fahne oberhalb am Grat der Hütte meint) und noch ein paar Biegungen um Jakobsspitze und Lorenzenspitz dazwischenliegen. Selbst von der Flaggerscharte (2.436 m) ist der Bau noch nicht zu erblicken.

Kopie_von_DSC00364Kopie_von_DSC00363Waaaas?? Die Flaggerschartenhütte (2.481 m) hat keinen Hüttenstempel??

Kurz vor 10 Uhr haben wir die 50 Kilometer geschafft - in fast 12 Stunden! Und jetzt zeigt uns der Wegweiser bis zum Penser Joch noch 4:30 Stunden an. Wenn es streckenmäßig (also mit viel Blockgelände) weitergeht, werden wir diese Zeit fast benötigen und hätten dann bei der Hälfte der Runde unser Zeitlimit fast aufgebraucht. Mit solchen Rechenbeispielen brauche ich jedoch meinen Mitstreitern zu Beginn unserer Rast nicht den Appetit verderben. Es gibt sogar Weißwein, höchstwahrscheinlich nur für die Helfer, denn kein Läufer schnappt sich eines der bereitstehenden Gläser.

Dafür hat die Flaggerschartenhütte keinen Hüttenstempel, sondern nur den Stempel der Hufeisentour (den ich mir am Latzfonser Kreuz schon habe geben lassen). Mit einem Hüttenstempel könne die Pächterin nichts anfangen, weil er nicht zum Geschäft beitrage. Tolle Theorie!

Gegen 10:15 Uhr, nach dem eher zurückhaltenden Verzehr von einigen Melonen- und Schokoladenstücken, sowie Fruchtsaft und warmen Tee, brechen wir wieder auf. Über die Hörtlanerscharte (2.646 m), deren Aufstieg mit Seilen gesichert ist, gelangen wir auf den Astener Höhenweg, der sich für uns anfangs recht "steinig" präsentiert. Deshalb stochern wir uns auch mit unseren Leki-Gehhilfen recht langsam vom Paß hinab. Natürlich mit der Regenjacke auf dem Leib, denn oben war es (für uns) ganz schön windig. Das dies' auch wesentlich unkomplizierter geht, bekommen wir kurz darauf von drei Einheimischen vorgeführt. Zwei Männer (mit Startnummer und Stöcken sowie eine Frau (als Begleitung im ärmellosen Oberteil und ohne Stöcke) rauschen regelrecht an uns vorbei, dabei sind sie auf den Steinplatten und -blöcken so trittsicher, wie wir in der Chemnitzer Innenstadt beim Einkaufsbummel.

Kopie_von_DSC00365Kopie_von_DSC00370Zwischen Flaggerschartenhütte und Penser Joch.        Anstieg zum Niedereck (2.304 m)

Oberhalb des Tramintales kommen uns auf einem felsig-vergrasten Anstieg zwei Radfahrer entgegen. Sie tragen zwar ihre Drahtesel öfterer, als daß sie sich auf deren Sättel schwingen, aber schon der Gedanke, sich hier mit dem Fahrrad herunterzuquälen ist absurd. Da uns mittlerweile auch die Sonne schon ganz schön einheizt, entschließen wir uns zu einer kurzen Rast. Natürlich wollen wir nebenbei auch die äußerst schleppende Talfahrt der beiden weiter beobachten, welche kurz darauf jäh durch einen Schlauchplatzer gestoppt wird. Deren Auszeit nutzen wir dann auch zum Weitermachen, denn zwei Läufer haben uns während der Pause passiert und da gilt es jetzt Anschluß zu halten.

Nach dem Niedereck (2.304 m) verlassen wir den Astener Höhenweg und biegen zum Hochplateau des Astenberges (2.367 m) ab. Von dort ist es nicht mehr weit bis zum Penser Joch (2.211 m), der großen Verpflegungsstelle des Laufes, an der wir genau 13 Uhr eintrudeln.

Hier liegen unsere Läufersäcke mit den Wechselsachen bereit. Daher tausche ich mein Hemd und wechsle die Socken, nebenbei gibt es noch Suppe und alkoholfreies Bier. Ute gönnt sich sogar den Luxus zweimal ihre Schuhe zu wechseln - erst kommen die nagelneuen Speedcross zum Kurzeinsatz und werden, kurz bevor die Fuhre mit den abgegebenen Läufersäcken (wo ihre ausgemisteten Schuhe drin sind) nach Bozen unterwegs ist, gegen die bisherigen Salomon wieder eingetauscht. Rund eine halbe Stunde halten wir uns am Paß auf. Dabei ist es erstaunlich, wie viele Läufer sich hier aus dem Wettkampf verabschieden. Eben sind sie noch im Eiltempo an uns vorbei und jetzt warten sie auf den nächsten Shuttle-Bus, der sie nach Bozen fahren wird. Es ist schön, von einer Helferin zu hören, daß sie uns ja wohl kaum nach diesem Heimbringdienst fragen bräuchte, da wir doch noch so einen frischen Eindruck machen würden. Einige Teilnehmer hätten hier ein Bild des Grauens abgegeben, bestätigt sie mir auf meine verwunderte Gegenfrage.

Kopie_von_DSC00382Kopie_von_DSC00387Penser Joch (2.211 m) - Kilometer 59                        Grölljoch (2.557 m) - Kilometer 64

Nach rund einer halben Stunde verlassen wir den Trubel am Paßübergang wieder und erblicken kurz darauf ein Schild, welches nur noch 59 Kilometer bis zum Ziel ankündigt. Das klingt sehr gut und wird deshalb auch nicht hinterfragt. Blöd nur, das geraume Zeit später erst das 60-Kilometer-Täfelchen den Wegrand ziert, von wo es immer noch 61 Kilometer bis Bozen sind.

In einem langgezogenen Bogen an den Wänden von Gänsekragen, Röthenspitze und Gartlspitze gelangen wir zum Gröller Joch (2.557 m). Ein steiniger, finaler Anstieg im Geröll zur Scharte zwischen Weißhorn und Gröller Spitze kostet noch einmal Kraft. Dafür haben wir von oben eine sehr gute Sicht zurück zum Penser Joch und auf der Gegenseite ins Oberbergtal.

Allerdings bemerkt Holger auch das Fehlen seines Zeitmeßchips, den er mit dreifacher Verknotung des "Geschenkbandes" am Handgelenk befestigt hatte. Wir suchen erfolglos das Gelände im oberen Teil des Paßes ab - selbst wenn er ihn hier verloren hätte, wäre er zwischen den Gesteinsbrocken auf ewig verschollen.

Der folgende Abstieg ist wieder steil und unwegsam - jetzt kommen knapp 1.100 Höhenmeter am Stück bergab! Ab der Oberbergalm (2.144 m) führen dann langgezogene Serpentinen nach weiter unten. Sie sind jedoch nicht markiert und sorgen so für einen kleinen Zwischenstop zur Überprüfung der Streckendaten, da auch weit und breit kein einziger Läufer zu sehen ist. Es ist aber in diesem Talkessel der einzige Weg, der in Frage kommt und diese Vermutung wird am unteren Ende des Zickzacks mit einem gelben Markierungsfähnchen bestätigt.

Immer entlang des Oberbergbaches durch eine Kuhweide führt nun die Strecke. Sie mündet später in eine Betonpiste die wiederum steil nach unten führt. Dort liegt eine überfahrene rötlich braune Schlange mit markanter Zeichnung am Kopf - vielleicht die hiesige Form der Kreuzotter? Zur weiteren Obduktion habe ich jedoch keine Zeit, da Ute und Holger mächtig Fahrt aufgenommen haben und ich deshalb den Anschluß nicht verlieren will.

Am unteren Ende der Gefällestrecke wartet in der Nähe der Kuhbergalm (1.494 m) die nächste Zeitmeßmatte auf unsere Transponder. Nur Holger hat kein Meßgerät mehr bei sich und wird deshalb manuell erfaßt - allerdings falsch (nämlich 25 Minuten später), wie sich später aus der Ergebnisliste ablesen lassen wird. Es ist 16:35 Uhr und das Zeitlimit liegt hier (oder doch erst bei der Ebenbergalm?) bei 20 Uhr. Wir haben also genügend Vorsprung herausgeholt.

Meine Frage, wie weit es denn noch bis zum Verpflegungspunkt Ebenbergalm ist, wird mit anderthalb Kilometer beantwortet. Ich frage nach, ob es sich um die Alm handelt, die man schon vom Oberbergtal sehen konnte. Dies wird bejaht und ich bekomme leichte Zweifel, ob es da wirklich nur 1,5 Kilometer bis dorthin sind.

Kopie_von_DSC00388Kopie_von_DSC00389Oberbergtal                                                            Verpflegungspunkt an der Ebenbergalm

Die original Hufeisentour nimmt nun den direkten Weg ins Penser Tal und umkurvt somit die beiden nächsten Höhen Alpler (2.624 m) und Obere Scharte (2.698 m), die wir nun durch das Unterbergtal ansteuern. Ich habe jedoch auf dem Weg zur Ebenbergalm ständig mit der Entfernungsangabe "zu kämpfen". Niemals nur 1,5 Kilometer, das ist mindestens doppelt so weit! Dabei schenke ich dem wirklich Sehenswerten kaum Beachtung, geschweige denn, daß ich es fotographiere: vor nicht allzulanger Zeit ist hier eine Mure aus Gestein abgegangen. Die angrenzende Weide, die starken Ausspülungen und die notdürftig vom Geröll freigeräumte Forststraße zeugen davon, auch der angrenzende Weißbach hat in einer Klamm einen Hangabgang zu verzeichnen. Ich habe aber andere "Probleme", denn auch das "500 Meter"-Schild, welches auf die Verpflegung hinweist, steht definitiv falsch!

Kurz vor der Ebenbergalm (1.780 m) überholen wir noch einen Läufer, der uns fragt, ob er sich uns anschließen darf - es ist Rolf Geisser aus der Schweiz. Die nächste Nacht steht ja bevor und das schwierigste Stück der Strecke kommt im Anschluß an die Verpflegung. Mit einer nicht allzu langen Rast dürften wir die Hirzerhütte (1.983 m, Zeitlimit 24 Uhr) noch im Hellen erreichen - wir müssen sie noch im Hellen erreichen! Deshalb verweilen wir nur eine Viertelstunde im Zelt nahe der Hütte. Es gibt alkoholfreies Bier, Käse, Schinken und Brot.

Kurz vor uns nimmt der Sarntaler Helmut Perkamm den breiten Weg Richtung Alplerspitz in Angriff. Er hat ungefähr 400 Meter Vorsprung, als wir ihm zu Viert folgen. Mehrere Kehren führen uns nun wieder hinauf. Ungefähr 300 Meter unterhalb der Alpleralm (2.094 m) beginnt es mit regnen, kurz darauf schlagen die ersten Blitze ein. Rolf und Holger sind nicht bereit bei Gewitter weiter zu gehen. Ich schlage vor, noch bis zur Alm zu laufen um uns dort unterzustellen. Beide wollen jedoch umkehren. Mit Ute flüchte ich zur Alm - dort fragen wir, ob wir uns unterstellen dürfen. Der Regen hat stark zugenommen und das Gewitter kommt jetzt erst so recht in Fahrt. Der Sarntaler Einheimische kommt auch postwendend vom Berg zurück, ebenso der Tscheche Jan Ciernik. Die zwei am Sattel (2.624 m) stationierten Bergrettungsleute befinden sich ebenfalls im (teils abenteuerlichen) Abstieg zur Alm, der die Abkürzung über die begrasten Felsen nimmt.

Mittlerweile ist der Transporter der Bergwacht von der Ebenbergalm zur Alpleralm heraufgekommen - im Wagen die völlig durchnäßten Holger und Rolf. Der Wettkampf ist für 30 Minuten unterbrochen, so die Mitteilung für uns. Das Wetter setzt nun mit Hagel noch einen drauf! Der Betreiber der Alm meint, die Situation würde nicht besser, da seine Kühe von den oberen Wiesenflächen herunter zur Alm kämen. Sie wären klüger, als wir Menschen und würden die hochalpinen Gefahren kennen. Er kennt sich zu diesem Thema bestens aus, ebenso die mittlerweile vier Bergrettungsleute und der Sarntaler Teilnehmer Helmut. Wir quatschen lange mit ihnen über das Verhalten in den Bergen und über den Unterschied zwischen ihren und unseren körperlichen Voraussetzungen bzw. "Qualitäten" im Hochgebirge.

Es ist vielleicht 20 Uhr, als der Wettkampf wieder freigegeben wird. Wir würden zwar weitermachen wollen, aber selbst der Einheimische zögert. Diese "Kompetenzüberschreitung" unsererseits maßen wir uns jetzt aber auch nicht an. Er kennt den bevorstehenden Weg, wir nicht! Also bleiben wir weiterhin vor dem Gebäude stehen und beobachten die Wetterlage. Außerdem wollen wir ja nicht die Bergretter zu einer dann nächtlichen Bergung beanspruchen. Lachend meint der Mann der Bergwacht, für sie gänge es erst morgen früh um 9 Uhr weiter. "Etwa mit Kaffee und frischen Brötchen für die zu Rettenden?", so unser Konter. Kurz darauf beginnt es wieder zu gewittern und zu regnen - wir haben also alles richtig gemacht.

Kopie_von_DSC00391Kopie_von_DSC00394Alpler Alm: Wetterumschwung mit Starkregen und Gewitter.        Banger Blick gen Himmel.

Uns bleibt also nur noch abzuwarten, wieviele Läufer der offizielle Besenläufer im Schlepptau hat. Dieser startet spätestens eine halbe Stunde nach Verstreichen des Zeitlimits mit den letzten im Rennen verbliebenen Teilnehmern vom jeweiligen Verpflegungspunkt. Siebzehn Mann sollen noch nach uns über die Meßmatte gelaufen sein, erfahren wir über den Sprechfunk der Bergwacht. Die Situation auf dem Grat würde mit dem Schlußläufer sicherlich nicht leichter werden, denn zusätzlich zu den nassen Gras- und Steinpassagen (eventuell noch im Regen oder Hagel, schlimmstenfalls im Gewitter) käme dann auch noch der sich nun angestaute Zeitdruck.

Als es schon leicht dämmert, kommen zwei Besenläufer mit dem durchnäßten Polen Rafa Koszyk (der jedes Wochenende einen Ultra läuft, wie er uns später auf englisch erzählt) den Weg herauf. Sie haben zudem die Streckenmarkierungsfähnchen des letzten Abschnittes und das 75-km-Schild dabei. Für sie ist an der Alpleralm Schluß! Das bedeutet, daß hier keiner mehr in Richtung Hirzerhütte aufbrechen wird. Mittlerweile stehen die zehn/zwölf Kühe direkt vor der Alm und "parken" damit den zur Talfahrt bereitstehenden Transporter regelrecht zu. Holger und Rolf sind schon vor Freigabe des Wettbewerbes wieder ins Tal gefahren worden, trotzdem muß jetzt ganz schön "eingeschichtet" werden, damit alle verbliebenen und nicht zur Alm gehörenden Personen talwärts kommen.

Im Dunklen geht es nun hinab zur Ebenbergalm, unterbrochen nur durch das Einsammeln von vergessenen Markierungen und das Öffnen und Schließen der Weidegatter durch den Beifahrer. Im Gastraum der Ebenbergalm warten wir nun auf den Shuttle"bus", der uns nach Bozen bringen soll. Es ist recht urig in dem kleinen Zimmer, zumal auch noch für kurze Zeit der Strom ausfällt. Dieser wird hier mittels Wasserkraft erzeugt, erzählt uns Helmut. Die Bergwacht und die Besenläufer stärken sich mit Makkaroni und Weizenbier, der Pole und der Tscheche schlafen derweil in den komischsten Körperhaltungen auf der Bank zwischen den Tischen und die Frau des Hauses versucht vergeblich das Kind im Nebenraum zu betten, was ihr aufgrund des Kneipenlärms erst beim sechsten oder siebenten Anlauf gelingt - es ist fast wie im Kabarett.

Zu vorgerückter Stunde verabschieden wir uns aus der illustren Runde mit der Verpflichtung den sympathischen Jungs der Bergwacht gegenüber, im nächsten Jahr wieder mit dabei (und erfolgreich) zu sein. In einem Transporter werden wir nun zum Ziel nach Bozen gebracht. Helmut nimmt als Einheimischer vorn Platz, wir sitzen eine Reihe dahinter und im letzten Gang schlafen Jan und Rafa weiter um die Wette. Während Helmut nun die Tore der Gatter öffnen und schließen muß, gleiche ich die Streckenlängen zur Verpflegungsstelle mit dem Tachometer ab und siehe da: aus 500 Metern werden 800 und die angegebenen 1,5 Kilometer entpuppen sich als 3.500 Meter!

Kopie_von_IMG_20150726_091745IMG_20150721_090420Gebrauchsspuren, aber kein Zieleinlauf!        Blick vom Messnerhof auf Bozen.

Helmut fährt nicht mit bis Bozen zurück, er läßt sich im Penser Tal vom Fahrer absetzen. Wir werden uns sicherlich beim nächsten Versuch wiedersehen! Es ist gegen 23:30 Uhr, als wir auf der Bozener Talferwiese (280 m) einbiegen. Wir bekommen noch unsere Läufersäcke ausgehändigt und werden noch zum Essen und Trinken eingeladen. Wir erleben dabei den Zieleinlauf der Plätze 20 und 21 - nach 25 Stunden und 44 Minuten Wettkampfzeit treffen ein Österreicher und ein Vinschgauer fast zeitgleich unter dem Zielbogen ein, auch Platz 22 bekommen wir noch von unserem Platz aus mit (Sepp Willibald aus Deutschland in 26:06:57 h).

Auf dem Heimweg nach St. Georgen kommen uns noch zwei Läufer am Talfer entgegen - ein Einheimischer und ein Niederländer. Letzterer fragt uns sogar noch nach dem Weg, obwohl er nun keine 500 Meter (nach meiner Einschätzung) mehr zu absolvieren hat und man das Zielgelände schon hören kann.

Wir nehmen nun die letzte Steigung, auf dem Jenesiener Weg hinauf zum Messnerhof. Gegen 1 Uhr fallen wir todmüde ins Bett - der Wettkampf hat auch mit nur 75 Kilometern seine Spuren hinterlassen.

Ergebnis 121 km - Männer:   160 Gestartete / 46 im Ziel / 43 im Zeitlimit auf der Strecke

1. Rabensteiner, Alexander (Skinfit Team Bozen - ITA) - 17:52:24,5 h
2. Mamleev, Mikhail (Sportler Team - ITA) - 18:49.39,1 h
3. Kienzl, Peter (ASV Telmekom Team Südtirol - ITA) - 18:58:09,0 h
4. Stoll, Bernhard (Niederdorf - ITA) - 19:02:52,1 h
5. Wortmann, Tim (UVU Racing Team) - 19:40:10,0 h
6. Innerkofler, Eugen (ASV Niederdorf - ITA) - 19:48:35,7 h
7. Roncato, Alessandro (ASD Maddalene Skymarathon - ITA) - 21:53:56,8 h
8. Bassi, Nicola (Team Dynafit - ITA) - 21:56:15,8 h
9. Illmer, Lorenz (Partschings - ITA) - 22:03:41,9 h
10. Höllrigl, Gregor (Fullsport Meran - ITA) - 22:05:03,9 h

75. Delling, Thomas (LV Limbach 2000) - 18:35:29,7 h (Ebenbergalm)

Ergebnis 121 km - Frauen:    10 Gestartete / 3 im Ziel / 6 im Zeitlimit auf der Strecke

1. Gross, Annemarie (ASV Telmekomteam - ITA) - 21:57:53,7 h
2. Poretti, Marta (Friesian Team - ITA) - 23:59:36,5 h
3. Guerini, Moira (Bione Trailers Team - ITA) - 31:00:11,9 h
4. Fallador, Cristina (Atletica Valdobbiadne - ITA) - 21:27:15,6 h (Meraner Hütte)
5. Grieger, Katrin (Hamburg) - 25:06:27,2 h (Meraner Hütte)
6. Schierhorn, Kim-Dania (Team Meldeläufer) - 20:06:19,4 h (Hirzer Hütte)
7. Scheifler, Judith (LG BSN) - 20:07:03,1 h (Hirzer Hütte)
8. Mitchell, Birgit (VHTRC - AUT) - 22:07:59,9 h (Hirzer Hütte)
9. Herfurt, Ute (LV Limbach 2000) - 18:35:27,6 (Ebenbergalm)

Kopie_von_DSC00354Kopie_von_DSC00368Kopieren__2_von_DSC00377Über 50 Kilometer zusammen gemeistert um dann an der Macht der Natur zu scheitern!

Fazit: Es gilt nicht umsonst als das "härteste Rennen in Südtirol". Schon bei der Erstauflage wurde die Region um Alpler und Hirzer wegen der hohen Gewitterneigung zum ungewollten Ziel für viele Teilnehmer. Aber auch die "normalen" Ausfälle zeugen von der hohen physischen und psychischen Belastung der Teilnehmer. Die Strecke ist technisch sehr anspruchsvoll - für mich auf Augenhöhe mit dem PTL oder dem Trail Ticino. Unser Scheitern empfinde ich jetzt nicht als Schande - wir hätten für einen kurzen Moment (nach Beendigung der Rennunterbrechung) weiterlaufen können, haben uns aber für eine weitere Beobachtung der Witterungsentwicklung entschieden und so vielleicht ein für uns lebensgefährliches Szenario im unwegsamen Gelände an der Alplerspitz vermieden. Eine nächtliche Bergung aus hochalpinem Gelände durch die Bergwacht braucht man nicht in seiner Vita, daher haben wir genau die richtige Entscheidung getroffen, die durch die Besenläufer "bestätigt" wurde. Die Wahrscheinlichkeit ist ziemlich hoch, daß wir noch einmal in Südtirol auftauchen und "unseren Rucksack" aus dem Sarntal abholen werden!

... unser Quartier haben wir für diesen Zeitraum schon mal reserviert!

Veranstalterseite: Südtirol Ultra Skyrace

Ergebnisse: Datasport

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